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Politik: Kosovo - ein Jahr danach: Der zweite Teil der Pflicht - Was die UN-Verwaltung erreicht und wo sie versagt hat

Vor einem Jahr räumte Milosevic den Kosovo. Internationale Friedensstifter rückten ein, in Uniform und in Zivil.

Vor einem Jahr räumte Milosevic den Kosovo. Internationale Friedensstifter rückten ein, in Uniform und in Zivil. Was haben sie erreicht? Wo sind sie gescheitert? Und was werden sie in den kommenden Monaten tun müssen, um dieser historisch beispiellosen Friedensmission gerecht zu werden?

Am 10. Juni 1999 formulierte der UN-Sicherheitsrat im Namen der Weltgemeinschaft sein Mandat zur Befriedung, zur Übergangsverwaltung und zum Wiederaufbau des Kosovo. In diesen Tagen wird es stillschweigend um ein Jahr verlängert - aller Voraussicht nach nicht zum letzten Mal.

Als die Nato-Truppen einmarschierten, gab es im Kosovo keine Staatsgewalt mehr. Ein Vakuum war zu füllen. Nur der völkerrechtliche Rahmen war noch definiert: Die Souveränität Belgrads bestand und besteht de iure fort. Kosovo ist kein unabhängiger Staat und wird auf absehbare Zeit keiner werden. Öffentliche Verwaltung unterhalb der Ebene der Souveränität obliegt allein der UN-Mission, abgekürzt UNMIK. Ihr Chef, der Pariser Arzt und Politiker Bernard Kouchner, hat ungefähr die Machtfülle eines klassischen Kolonialgouverneurs. Instruktionen empfängt er nur von UN-Generalsekretär Kofi Annan, dessen New Yorker Beamte jede Bewegung der UNMIK genau verfolgen.

Kouchner regiert den Kosovo mit Hilfe einer bunt zusammengewürfelten Schar von Verwaltungsbeamten, Diplomaten und technischen Fachleuten aus aller Welt. Sie sollen der geschundenen Provinz zu modernen Strukturen verhelfen. Unter den Europäern innerhalb der Mission ist - über das Mandat des Sicherheitsrates hinaus - die Entschlossenheit weit verbreitet, den Kosovo mittelfristig "europafähig" zu machen.

Drei große Erfolge

Wenn jetzt nicht, mit erheblichem Aufwand über eine Reihe von Jahren, sichergestellt wird, dass dieses klassische Pulverfass ein für allemal entschärft wird, wäre aller Aufwand im vorigen Frühjahr umsonst gewesen. Dies kostet nur einen Bruchteil dessen, was die Militäraktion der Allianz abverlangt hat und ist die logische Konsequenz atlantischer Politik der Stärke gegenüber einem Regime, das die Regeln des Zusammenlebens der Völker über Jahre hinweg flagrant verletzt hat. Militärische Intervention aus humanitären Gründen ist nur glaubwürdig, wenn sie zivilen Wiederaufbau nach sich zieht. Die Weltgemeinschaft tut insofern jetzt den zweiten Teil ihrer Pflicht.

Stellen wir uns einen Augenblick lang vor, was geschähe, wenn UNMIK und KFOR den Kosovo sich selbst überließen. Die jahrhundertealte Logik der Rache kehrte sogleich zurück. Die neue und einzigartige Chance, die das Amselfeld jetzt hat, wäre dahin. Die Glaubwürdigkeit des Westens wäre es auch. Rückzug in absehbarer Zeit ist daher undenkbar. Wenn internationales Engagement also weiterhin unerlässlich bleibt, ist zu fragen, ob wir es bislang richtig gemacht haben. Die Antwort ist, wie kaum anders zu erwarten, zwiespältig.

UNMIK und KFOR können drei große Erfolge verbuchen. Sie betreffen die Grundlagen des Lebens der Kosovaren.

1. Die Flüchtlinge konnten nach zwar traumatischen, im Rückblick jedoch verhältnismäßig kurzen Wochen der Vertreibung, in ihre Heimat zurückkehren.

2. Die Kosovaren haben den ersten Nachkriegswinter überlebt. Niemand ist verhungert, niemand erfroren.

3. Es herrscht ein unter den gegebenen Umständen akzeptables Mindestmaß an öffentlicher Sicherheit. Die UCK hat sich demilitarisieren lassen, ganz entwaffnet ist sie nicht.

Diese drei Erfolge betreffen alle die Reduzierung der größten Not. Die internationalen Helfer haben ihre ersten dringenden Aufgaben erledigt. Jetzt geht es um den Übergang in eine normalere Zeit.

Den eindrucksvollen Leistungen stehen Misserfolge gegenüber. Der größte ist das Unvermögen der neuen Verwalter gewesen, den Exodus der Serben und Roma zu verhindern, der der Rückkehr der Albaner auf dem Fuße folgte. Die Flucht von zwei Dritteln der serbischen Bevölkerung war Resultat unmittelbarer Angst und folgte der alten Logik der Rache, die das Denken der Völker in diesem Teil der Welt bis heute bestimmt. Die Angst war begründet, denn nun brannten serbische Häuser, wurden Serben ermordet, und keineswegs nur solche, die als Mörder bekannt waren. Die KFOR brauchte einige Monate, um die Welle der Vergeltung unter Kontrolle zu bringen. Der albanische Nachkriegschauvinismus dürfte nur langsam abkühlen. Politische Köpfe, die ihn dämpfen könnten, sind bislang kaum sichtbar.

Der zweite Misserfolg, jedenfalls einstweilen, ist der Mangel an Möglichkeiten, die organisierte Kriminalität einzudämmen. Man sollte ihn KFOR und UNMIK aber nicht anlasten, denn er entspringt der immer noch unzureichenden Polizeipräsenz. Wenn nach einem Jahr kaum zwei Drittel der erforderlichen 4800 internationalen Polizisten im Kosovo Dienst tun, wenn gerade erst die ersten kosovarischen Absolventen aus der westlich geprägten Polizeischule hervorgehen, haben Dunkelmänner leichtes Spiel.

Organisiertes Verbrechen ist schon an sich gefährlich. Im Kosovo wirkt es sich zudem verheerend auf das Ansehen der UNMIK aus. Hier erwarten die Menschen von ihrer Obrigkeit eine starke Hand. Dem kann eine multinational zusammengesetzte Mission aber nur begrenzt gerecht werden. Unabhängige Richter und unbestechliche Staatsanwälte lassen sich in einer tief verwundeten Gesellschaft, in der Todesdrohungen zum täglichen Umgangston vieler Menschen gehören, nicht aus dem Boden stampfen. Rechtskultur kann ohne Anfangsvertrauen nicht wachsen. Da liegt noch ein weiter Weg vor allen Beteiligten.

Vor den ersten freien Wahlen

Was steht für das zweite Jahr auf der Tagesordnung? Konsolidierung, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz als fortdauernde Aufgaben, die einen langen Atem erfordern. Wiederaufbau, Heimkehrerintegration und wirtschaftliche Belebung als konkrete Programme. Und sichtbar vor allem anderen im Mittelpunkt des politischen Interesses die ersten freien Wahlen im kommenden Oktober, geplant und organisiert von der OSZE-Mission, die im Kosovo zwar in vielerlei Hinsicht selbstständig agiert, letztlich aber unter dem Dach der UNMIK lebt und Bernard Kouchner unterstellt ist.

Diese Wahlen werden mit einem Maß an Akribie vorbereitet, das für den Kosovo neu ist. Auch wenn mancher Aufwand übertrieben scheint: Der Ansatz ist richtig, denn nur solche Wahlen verdienen das Prädikat "europäischer Standard"; sie sollen den Minderheiten - und hier vor allem den Serben - Repräsentanz garantieren. UNMIK tritt an mit dem Anspruch, jedem geflüchteten Serben das Wahlrecht ebenso einzuräumen wie jedem rechtzeitig zurückkehrenden Albaner. Und all denen, die zu einem bestimmten Stichtag noch im Kosovo gelebt haben, sich jetzt aber anderswo aufhalten. Dabei ist immer noch ungewiss, in welchem Ausmaß die Serben sich überzeugen lassen, dass dies auch ihre Wahlen sind, dass sie zum Kosovo gehören wie die anderen Völker auch.

Den Wahlen vorausgehen muss die Registrierung der Bevölkerung. Sie ist in vollem Gang. In 200 Registrierungszentren schreiben sich die Leute ein, für ein neues Zentralregister und für die Wählerliste. Die Bilder vom vorigen Jahr sind noch in frischer Erinnerung: Serbische Milizen nahmen den fliehenden Albanern ihre Papiere ab, zerrissen sie und warfen sie fort. Wir sind gezwungen, etwa einem Zehntel der Menschen dabei zu helfen, ihre Identität zu beweisen. Erst dann können auch sie den neuen fälschungssicheren Personalausweis mit dem Emblem der Vereinten Nationen erhalten.

Nur die kommunalen Räte sollen im Oktober gewählt werden. Für territoriale Wahlen ist es noch zu früh. Die politischen Parteien formieren sich in diesen Wochen neu, vieles ist im Fluss, und "nationale" Wahlen - wie die Kosovo-Albaner sagen - könnten jetzt Strukturen verfestigen, die nur eine Momentaufnahme im politischen Prozess widerspiegeln. Ließe man schon jetzt ein Parlament wählen, so wäre die Erklärung der Unabhängigkeit von Serbien am Tage der Konstituierung die beinahe unausweichliche Folge. Damit wäre niemandem gedient, am wenigsten den Kosovo-Albanern. Sie brächten den gesamten Sicherheitsrat und die Gebergemeinschaft, von der sie abhängen, gegen sich auf und gefährdeten das Erreichte.

Wer kritisieren möchte, der hat auch über die genannten Misserfolge hinaus leichtes Spiel. Zu vieles ist noch in Unordnung. Aber wer die ersten sichtbaren Leistungen kleinredet, verfehlt den eigentlichen Punkt. Im Kosovo wird etwas ganz Neues ausprobiert. Es ist der Versuch moderner Treuhandverwaltung auf Zeit. Nicht postkolonial, sondern im Sinne einer vorübergehend den Internationalen anvertrauten Aufgabe zugunsten von über zwei Millionen Menschen, die sich anders derzeit nicht helfen können. Im Kosovo arbeiten Blauhelme neuer Art. Sie beraten nicht eine vorhandene Regierung, sondern sie bilden sie selbst. Und haben täglich mit zahllosen Unzuträglichkeiten zu kämpfen.

Die UN waren auf diese Aufgabe nicht vorbereitet. Wie sollten sie vor einem Jahr innerhalb weniger Tage eine funktionierende Verwaltung aus dem Boden stampfen? Jeder KFOR-Soldat, der in den Kosovo einrückte, konnte aufgrund sorgfältiger militärischer Planung in kürzester Zeit seinen Standort beziehen. Aber kein Zivilverwalter war dazu in der Lage. So konnte die damalige UCK sich überall in Ruhe einrichten, bevor die internationalen Gemeindeverwalter überhaupt bestallt waren. Es erwies sich als äußerst mühsam, den Exklusivitätsanspruch der hellblauen Flagge mit der Weltkugel nachträglich allerorten durchzusetzen. Der reale Machtaufwuchs der Treuhänder hat viel zu lange gedauert. Was lässt sich daraus lernen?

Es ist an der Zeit, den Verwaltungsblauhelm als neues Berufsbild einzuführen. Die UN brauchen eine Adressenliste, aus der sie binnen Tagen eine "Schnelle Eingreiftruppe" hochmobiler Zivilverwalter zusammenstellen können. Die nächste Treuhandmission kommt vielleicht schneller, als wir ahnen.

Der Autor ist Mitglied der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo und dort verantwortlich für die Registrierung der Bevölkerung.

Albrecht Conze

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