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Krawalle in Ägypten: Ist das Erbe der Arabellion in Gefahr?

In Ägypten sind wieder heftige Unruhen aufgeflammt - bei den zweitägigen Krawallen sind mindestens zwölf Menschen ums Leben gekommen. Der Protest gilt dem Militärrat.

Ein Jahr nach dem Sturz von Langzeitpräsident Husni Mubarak wächst der Druck auf den regierenden Militärrat, die Macht abzugeben. Die Protestbewegung fordert angesichts der fortwährenden Gewalt, dass rasch ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird. Am Samstag gab es in der Nähe des Innenministeriums in Kairo erneut Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Bei zweitägigen Krawallen in mehreren Städten sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens zwölf Menschen ums Leben gekommen. Gleichzeitig versammelten sich Zehntausende auf dem Tahrir-Platz, die in Sternmärschen aus allen Stadtteilen in das Zentrum gezogen waren.

Was treibt die Protestierer auf die Straße?

„Weg mit dem Militärrat – hängt den Feldmarschall auf“, skandierte die Menge und „Wir haben von einem Umbruch geträumt, sie aber haben uns zum Narren gehalten.“ Seit der blutigen Tragödie im Stadion von Port Said eskalieren in Ägypten Empörung und Aggressionen gegen die Herrschaft des Militärrates und dessen Chef, Feldmarschall Hussein Tantawi. „Das Ministerium könnt ihr schützen, warum dann nicht ein Fußballstadion“, schrie die Menge in der Mohamed- Mahmoud-Straße. Viele schwenkten Fahnen der Ultra-Fanklubs von Ahly und Zamalek, den beiden Erstliga-Vereinen aus Kairo. „Diesmal werden wir nicht mehr zurückweichen“, schwor einer der Ahly-Ultras, die bekannt sind für ihre Härte im Straßenkampf gegen die Polizei.

„Die Verbrechen gegen die Kräfte der Revolution werden die Revolution nicht stoppen und die Revolutionäre nicht einschüchtern“, stand auf einem ihrer Flugblätter. Als ein Mannschaftstransporter mit Polizisten versehentlich in eine Seitenstraße abbog, die voller Protestierer war, wurde der Wagen eine Dreiviertelstunde lang mit Steinen bombardiert, bis ihm schließlich andere Demonstranten mit einer Menschenkette halfen zu entkommen.

Nur während des Freitagsgebets hielten die Kämpfer kurz inne, dann gingen die Krawalle bis in den Abend unvermindert weiter. Vereinzelt waren in der Kampfzone Schüsse zu hören, schwarzer Rauch von brennenden Autoreifen waberte durch die Straßen. Die hinter Stacheldraht verbarrikadierte Polizei antwortete mit Salven von Tränengas. Mindestens ein Mann starb – ihn traf eine Kugel in die Brust. Bis zum Abend wurden allein in Kairo mindestens 1400 Menschen verletzt. Immer wieder brachen Demonstranten plötzlich zusammen und verfielen in schwere Krämpfe, ausgelöst durch das eingesetzte Tränengas. Andere haben gebrochene Arme, Schusswunden oder Augenverletzungen durch die eingesetzten Gummigeschosse.

Wie war die Lage andernorts im Land?

Auch in anderen Teilen Ägyptens kam es zu Unruhen. In Suez wurden zwei Menschen getötet, als die Menge versuchte, eine zentrale Polizeistation zu stürmen und die Beamten das Feuer eröffneten. Mehr als 200 Angreifer erlitten Verletzungen, zahlreiche Geschäfte wurden geplündert. In Port Said dagegen, wo sich am Mittwochabend die Tragödie mit 74 Toten und über Tausend Verletzten abgespielt hatte, verliefen die Versammlungen zunächst ohne Zwischenfälle.

Was bedeuten die Ausschreitungen für die Zukunft Ägyptens?

Für Ägyptens Fußball ist Port Said eine beispiellose Katastrophe, für den Fortgang der demokratischen Entwicklung am Nil ein Menetekel. Denn je öfter sich nach dem Sturz von Hosni Mubarak die Zyklen schwerer innerer Unruhen wiederholen, desto mehr Bürger werden daran zweifeln, ob die Revolution ihr Land tatsächlich auf den richtigen Weg gebracht hat. In ihren Köpfen beginnen sie, Demokratie gleichzusetzen mit Chaos, Unsicherheit und Gewalt, aber auch mit wachsender Armut und Verzweiflung. Seit zwölf Monaten schon zieht sich der Machtübergang vom Militär an eine vom Volk legitimierte zivile Führung in die Länge. Die Finanzressourcen gehen zur Neige, die Wirtschaft kommt nicht auf die Beine, die Touristen bleiben weg, und im Haushalt klaffen riesige Löcher. Die vom Militärrat ernannte Übergangsregierung scheut Entscheidungen und ist kaum handlungsfähig. Die Generäle taktieren hinter den Kulissen und wollen vor allem ihre Privilegien retten.

Welche Rolle spielen die Sicherheitskräfte bei diesen Vorgängen?

Viele Protestierer sind überzeugt, die alten Kader des Mubarak-Regimes sowie der Militärrat steckten als Drahtzieher hinter dem Massaker. In ihren Augen geht es diesen Kräften darum, die junge Demokratie zu denunzieren als Ägyptens Weg in den Abgrund. Auffällig jedenfalls war die ungewöhnlich geringe Polizeipräsenz im Stadion, auch wenn Innenminister Mohamed Ibrahim seine Sicherheitskräfte energisch verteidigte. Die Ereignisse seien ausgelöst worden durch gegenseitige Provokationen der beiden Fanblöcke, sagte er. Schlachtenbummler aus Kairo hatten während des Spiels ein Transparent entfaltet mit der Aufschrift „Port Said ist eine Schrottstadt, und hier gibt es keine echten Männer“.

Dagegen zeigten Fernsehbilder nach dem Schlusspfiff, wie die Polizisten untätig und hilflos in der Arena herumstanden, während um sie herum der rasende Mob aufeinander losging. Auch wurden die Ultras der Heimmannschaft vor dem Spiel nicht auf Messer und Knüppel durchsucht, obwohl sie im Vorfeld von einem „Tag der Abrechnung“ getönt hatten. Inkompetenz oder politisches Kalkül, darüber wird am Nil in den nächsten Wochen noch erbittert gestritten werden. Eines aber steht inzwischen außerhalb jeder Diskussion: Ägyptens zweites Jahr nach der Revolution wird noch wesentlich härter als sein erstes.

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