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Politik: Kreide schmeckt nicht

Von Robert Birnbaum

Charakter zeigt sich bekanntlich weniger in guten, dafür umso mehr in schlechten Zeiten. Seit der knapp verlorenen Bundestagswahl haben CDU und CSU zwei Jahre lang ausnehmend gute Zeiten erlebt, mit traumhaften Wahl und exzellenten Umfrageergebnissen. Dass es sich dabei um eine Art optische Täuschung handelte, verursacht durch den Niedergang der SPD, war theoretisch allen in den Parteiführungen klar, hat praktisch aber niemanden gestört. Es war ja auch eine schöne Täuschung. Jetzt neigt sich das Scheinriesen- Dasein dem Ende entgegen. In Brandenburg, in Sachsen drohen kräftige Einbußen, in Nordrhein-Westfalen geht der Zweifel um. Der Moment rückt also näher, an dem die Union vor der Charakterfrage steht.

Das gilt im durchaus doppeldeutigen Sinne dieses Wortes, im beschreibenden wie im moralischen. Auf den moralischen kommen wir später. Bleiben wir vorerst bei der Beschreibung. Warum verliert auch die CDU das Vertrauen vieler Wähler? Die gängige Antwort lautet: Sie wirkt uneinig und konzeptionslos; dort aber, wo sie Konzepte hat, eilt denen der Ruf der Brutalität voraus. Diese gängige Antwort ist nicht falsch. CDU und CSU machen nicht durchgängig den Eindruck von Parteien, die zum Regieren ernstlich willig und fähig sind. Es fehlt an Einigung in wichtigen Sachfragen – Stichwort Gesundheit –, es mangelt an jenem finster entschlossenen Teamgeist, der Wähler anzieht, weil sie im Willen zur Macht die notwendige Voraussetzung zum Erfolg an der Macht erkennen.

Aber diese gängige Antwort bleibt an der Oberfläche. Die Union war in den letzten zwei Jahren genauso uneins, ohne dass das ihrer Beliebtheit messbar geschadet hätte. Nein, es passiert etwas ganz anderes. Die große Volkspartei SPD hat durch ihren Reformkurs – mit all seinen Verwerfungen und Zerreißproben – vielen Bürger erst klar gemacht, was hinter Worten wie „Reform“ oder „Globalisierung“ steckt. Die Schröder- Agenda-SPD hat spätestens mit Hartz IV die alte, sozialdemokratisierte Bundesrepublik beendet. Nicht, weil Hartz sozial grausam wäre – das ist es nicht –, sondern weil dahinter ein neues Denkmodell steckt, das die Anspruchsmentalität gegen Papa Staat aufbricht.

Diese Erfahrung aber taucht auch die bislang erkennbaren Teile eines Reformprogramms made by CDU & CSU in neues Licht. Sie erscheinen weniger als Alternative zum Regierungsprogramm denn als Fortsetzung mit bestenfalls tauglicheren, in jedem Falle aber genauso unbequemen Mitteln. Nur folgerichtig, dass auch im bürgerlichen Wählerlager das Unbehagen wächst und mit ihm die Wahlenthaltung, gar die Flucht in Protestparteien. Denn man mache sich nichts vor: Von der letztlichen Wiederherstellung der guten, alten Bundesrepublik schwärmen keineswegs nur Traditions-Sozialdemokraten. Die Sorte Wunschtraum kennt kein Parteibuch.

Für eine Opposition gibt es in solcher Lage eine nahe liegende taktische Volte. Sie könnte sich einen schlanken Fuß machen, ihr soziales Gewissen betonen, für jedermanns Sorgen jederzeit Verständnis aufbringen und überhaupt vorwiegend freundlich sein. Damit sind wir allerdings beim moralischen Moment der Charakterfrage. Es ist nicht so furchtbar schwer, den Umbau vieler Teile dieser Gesellschaft als notwendig zu vertreten, solange das der eigenen Beliebtheit nicht schadet. Der Wille zu Zusammenhalt und politischem Gestaltungswillen beweist sich erst im Gegenwind.

Die Union hat bisher einen für eine Opposition eher ungewöhnlichen Mut gezeigt. Sie hat ihre Reformkonzepte nicht komplett im Ungefähren gelassen, sondern lässt sie relativ konkret durchrechnen und ausformulieren. Taktisch ist so etwas immer ein Problem. Der Druck in der Union wird wachsen, weniger ehrlich und dafür mehr nett zu sein. Aber das wäre nicht nur falsch, sondern wirkungslos. An der Unterstellung, Kreide gefressen zu haben, ist schon einmal ein Unionskandidat gescheitert. Wir wollen auch gar nicht nett regiert werden. Gut würde uns reichen. Und mit Charakter.

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