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Politik: Krieg der Kinder

Viele Kämpfer in dem zentralafrikanischen Land sind noch Teenager – die EU-Soldaten sind darauf nicht vorbereitet

DIE DEBATTE UM DEN EU-EINSATZ IM KONGO

Von Wolfgang Drechsler,

Kapstadt

Im Nordosten des Kongo sollen schon bald auch Soldaten aus der EU helfen, den Bürgerkrieg in der Region zu beenden. Viele von ihnen werden dann zum ersten Mal mit einem Phänomen konfrontiert, dass es auf dem Balkan oder in Afghanistan nicht gegeben hat: Die Friedenssoldaten mit ihren Splitterschutzwesten, modernen Funkgeräten und teuren Geländewagen werden einer Armee verlotterter Kinder gegenüberstehen.

Die jungen Kämpfer sind oft schon mittags betrunken oder mit Drogen voll gepumpt und deshalb völlig unberechenbar. Nach einer Studie der Drogenkontrollbehörde der Vereinten Nationen (INCB) stehen die meisten der zwangsweise rekrutierten Kinder in afrikanischen Bürgerkriegen – insgesamt mehr als 120 000 – ständig unter dem Einfluss von Rauschgift. Dieses soll ihnen die Angst vor dem Kämpfen nehmen und das Hungergefühl dämpfen. Von Somalia über den Kongo bis Liberia finden Valium, Marihuana, Heroin oder in Indien produzierte Mandrax-Tabletten reißenden Absatz.

Wer einmal in die glasigen Augen eines unter Rauschgift stehenden afrikanischen Soldaten geschaut hat, versteht, dass der französische Kommandeur der im Kongo bereits stationierten UN-Blauhelmsoldaten (Monuc) die Kinder als „kleine Bestien“ bezeichnet. „Sie fürchten den Tod weniger als Erwachsene“, sagt Marco Teixeira vom Kinderhilfswerk Unicef. „zwar töten sie und sehen täglich Menschen sterben, aber sie halten das alles für ein Spiel.“ Die UN-Soldaten haben zu Recht Angst vor diesen Kindern, die wie Figuren aus der Schießbude plötzlich feuernd vor ihnen auftauchen. Viele der Jungen, die gegenwärtig durch die Straßen von Bunia patrouillieren, haben ihre Eltern verloren und sind von örtlichen Kriegsfürsten rekrutiert worden. Nicht wenige schließen sich aber auch freiwillig an, denn sie glauben, in den Rebellenarmeen zu finden, was sie zuvor verloren haben: eine Art Familienverband. Andere wiederum wollen den Tod ihrer Eltern rächen.

„Sie kämpfen besser als Erwachsene, klagen und essen weniger und geben sich mit einem geringen Sold zufrieden“, gibt ein kongolesischer Guerilla-Kommandant zu Protokoll. Die Kleinen werden regelrecht zum Töten abgerichtet. Manche müssen die Hinrichtung ihrer eigenen Familien mitansehen oder sogar aktiv dabei helfen. „Danach fällt es ihnen leichter, Menschen umzubringen“, sagt eine Unicef-Mitarbeiterin. Im Kongo werden die Kinder angeblich bisweilen vor dem Kampfeinsatz gezwungen, menschliches Blut zu trinken oder sogar Menschenfleisch zu essen – ein Ritus, der ihre Furchtlosigkeit stärken soll.

Die UN schätzen, dass 15 bis 30 Prozent aller neu rekrutierten Kämpfer im Kongo nicht einmal 18 Jahre alt sind. Da die Waffen dank moderner Technik immer leichter werden, werden auch die Kinder, die sie tragen müssen, immer jünger – Zwölfjährige laufen inzwischen mit Schnellfeuergewehren herum. Und schon Sechsjährige werden für Handlangerdienste in den Kriegscamps herangezogen. Mittlerweile haben Kinderschutzorganisationen immerhin einen Teilerfolg im Kampf gegen die Rekrutierung Minderjähriger erzielt. Menschenrechtsgruppen und die UN einigten sich darauf, das Mindestalter für Soldaten künftig von 15 auf 18 Jahre hinaufzusetzen. Der Internationale Strafgerichtshof betrachtet den Einsatz von Kindern unter 15 Jahren als Kriegsverbrechen. Auch der Kongo hat das entsprechende Abkommen ratifiziert. Doch jeder weiß: Ändern wird das Papier wenig. Denn die Regierung in Kinshasa hat nicht die Autorität, es durchzusetzen.

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