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Politik: Küsschen links, Küsschen rechts

Wie die Kanzlerin den widerstrebenden französischen Präsidenten vom Klimaschutz überzeugte

Jacques Chirac pflegt Angela Merkel vor laufenden Kameras nicht nur charmant die Hand zu küssen. Er verhindert am Ende dann doch nicht ihren Gipfelerfolg. „Was sich hier abgespielt hat, können Sie nur verstehen, wenn Sie es auf dem Hintergrund des besonderen deutsch-französischen Verhältnisses sehen,“ sagt ein deutscher Diplomat zum glücklichen Ende des EU-Frühjahrsgipfels in Brüssel.

Ursprünglich hatte der französische Staatspräsident abgelehnt, was Brüssel und Berlin beim EU-Klimagipfel mit Nachdruck forderten: ein verbindliches Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien in der EU. Am Donnerstag reiste Chirac zudem mit einer Forderung nach Brüssel, die nicht nur grüne Atomgegner auf die Barrikaden trieb, sondern auch einige Regierungen: Die EU solle doch bitte nicht nur die erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse zu den umweltfreundlichen Energieträgern zählen, sondern auch die Kernkraft, die schließlich auch kein schädliches Kohlendioxid (CO2) verursache.

Am Freitag um 12 Uhr mittags war es dann doch geschafft: Als die amtierende Präsidentin des Europäischen Rats, Angela Merkel, vor die Presse ging, konnte sie eine neue europäische Klimapolitik vermelden. Die 27 Staats- und Regierungschefs waren sich in allen Punkten einig geworden – vom Ziel für die Senkung des CO2-Ausstoßes um ein Fünftel bis 2020 über die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 Prozent bis zur Rolle der Atomkraft. Der Energiemix soll den EU-Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Das war ohnehin nie strittig. Die Kernkraftgegner setzten zuletzt aber durch, dass die Nuklearenergie im Schlussdokument des Brüsseler EU-Gipfeltreffens nur indirekt erwähnt wurde – eine Lösung, mit der die Franzosen offenbar leben können.

Was war also seit Donnerstagabend geschehen? „Wir wollen, dass die deutsche EU-Präsidentschaft ein Erfolg wird“, sagte ein französischer Diplomat schon in der Nacht zum Freitag. Noch bevor der Rat begann, hatte Angela Merkel, die als Vorsitzende für die Gipfeldramaturgie zuständig ist, gleichsam als Prolog mit gefurchter Stirn ernste Worte gesprochen: Sie rechne mit harten Verhandlungen, es werde „sehr schwierig“, verbindliche Klimaziele durchzusetzen.

Als sie dann am Eingang des Ratsgebäudes vor laufenden Kameras den französischen Staatspräsidenten begrüßte – Küsschen links, Küsschen rechts –, inszenierten die beiden gleich den ersten Akt: Sie steckten vor laufenden Kameras die Köpfe zusammen, baten den Dolmetscher herbei, anscheinend schon hier in erstem Gespräch.

Chirac habe dann schon bei der ersten Arbeitssitzung am Donnerstagabend als Erster das Wort ergriffen, berichten französische Diplomaten. Dabei sei schon erkennbar gewesen, dass er den Vorschlägen der Kanzlerin am Ende wohl zustimmen werde. Bei anderen Regierungschefs, die auch gegen verbindliche Klimaziele waren – Polen, Tschechen, Slowaken –, habe das Eindruck gemacht. Der Widerstand bröckelte sichtbar. Das gemeinsame Abendessen, von deutschen Spitzenköchen bereitet – Räucheraal mit Gurken, Spanferkel mit Sauerkraut, Griesflambé –, sei sehr harmonisch verlaufen.

Für Angela Merkel muss spätestens da klar gewesen sein, dass sie gewonnen hatte. Bei der Pressekonferenz kurz vor Mitternacht gab sie sich dennoch vorsichtig: „Wir müssen weiter verhandeln. Aber wir können Hoffnung haben“ – zweifellos eine gekonnte Tiefstapelei.

Doch bleibt in der EU noch einiges zu tun. Die EU-Kommission muss die für die gesamte EU vereinbarte Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 20 Prozent im Vergleich zu 1990 in den kommenden Monaten auf spezifische Ziele für jedes EU-Mitgliedsland runterbrechen. Der nächste interne Konflikt ist damit programmiert.

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