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Politik: Läuten gegen Rechts

In Magdeburgwollten Neonazis das Gedenken an die Bombenangriffe instrumentalisieren–der Domprediger setzte die Glocken in Gang

Von Frank Jansen

Die Magdeburger Domglocken werden den Neonazis noch lange in den Ohren klingen. Alle zehn Minuten werden die Szene-Anführer überdröhnt, die am Sonnabend auf dem Platz vor dem Gotteshaus vor mehr als tausend Anhängern reden. „18 Tonnen Barockgeläut“, sagt Domprediger Giselher Quast. Er will den Rechtsextremisten demonstrieren: Ihr seid hier unerwünscht. Die vornehmlich ostdeutschen Neonazis sind nach Magdeburg gekommen, um kurz vor dem 60. Jahrestag an den schwersten Luftangriff auf die Stadt zu „erinnern“. Am 16. Januar 1945 hinterließen alliierte Flieger ein Trümmerfeld, tausende Menschen kamen um. Den in der Bevölkerung unvergessenen Schrecken wollen die Rechtsextremisten instrumentalisieren – 60 Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes.

So kommen bekannte Szene-Anführer nach Magdeburg. Der Hamburger Anwalt Jürgen Rieger, der Jahr für Jahr die Heß-Aufmärsche in Wunsiedel organisiert, steht auf dem Domplatz zusammen mit dem kürzlich in die NPD eingetretenen Neonazi Thomas Wulff. „Die rechte Szene hofft, sie könnte mit Aufmärschen zur Erinnerung an die deutschen Opfer des Krieges die bürgerliche Mitte erreichen“, sagt ein Verfassungsschützer. So soll am 13. Februar in Dresden demonstriert werden, mit mehr Teilnehmern als den 2000 vom vergangenen Jahr. Für den 8.Mai, den Jahrestag von Kapitulation und Befreiung, hat die NPD einen Marsch durch Berlin angemeldet. Unter dem Motto „60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult“.

In Magdeburg verfängt die braune Propaganda nicht, obwohl Neonazis die Briefkästen rund um den Domplatz mit Flugblättern gespickt haben und der Jahrestag des Bombardements ein großes Thema ist – Sonderseiten in der Lokalzeitung, Bildbände in allen Buchgeschäften. Doch Passanten reagieren allergisch auf das rechtsextreme Spektakel. „Das ist vollkommen überflüssig“, sagt ein Rentner, der den Luftangriff als Zehnjähriger miterlebt hat. Die Neonazis hätten doch „überhaupt keine Beziehung zur Bombennacht“. Ein anderer Mann empört sich, die Rechtsextremisten heuchelten Trauer, „dabei hätten sie selber gern im Krieg mitgemacht“.

Sympathien für die etwa tausend linken Gegendemonstranten sind auch nicht zu hören. „Die wollen nur Krawall“, sagt eine junge Frau. Die jungen Linken, meist in Schwarzjacken gekleidet, finden und suchen offenbar auch keinen Anschluss an den bürgerlichen Protest gegen Rechts. Am späten Nachmittag kommt es dann zu Rangeleien. Die Polizei stoppt den Neonaziaufmarsch; Rechtsextremisten, die durchbrechen wollen, werden mit Gewalt daran gehindert.

Mehrere hundert Magdeburger, darunter Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD), haben sich derweil zu einer Menschenkette am Dom aufgereiht. Der Opfer des Luftangriffs, im Bewusstsein der deutschen Schuld, wollen Trümper und Quast mit Magdeburger Bürgern dann an diesem Sonntag auf dem städtischen Friedhof gedenken.

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