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Politik: Leicht abzulenken

Physiker halten das geplante US-System nicht für ausgereift – der Feind kann es mühelos überlisten

Berlin - Der von den Amerikanern geplante Raketenabwehrschild in Osteuropa ist technisch bislang nicht ausgereift. Diese Auffassung vertreten Physiker des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (Fonas), die kürzlich über die baulichen und physikalischen Voraussetzungen des geplanten Abwehrsystems diskutierten. Dr. Wolfgang Liebert, Vorsitzender des Fonas sagt: „Wir haben den Eindruck, dass die technischen Möglichkeiten und Gesamtkonzepte diskutiert werden sollten, aber stattdessen wird immer nur die Frage behandelt, ob die Nato miteinbezogen werden soll oder nicht.“

Die USA wollen zur möglichen Abwehr von Langstreckenraketen aus dem Iran und anderen sogenannten Schurkenstaaten einen Raketenschild in Osteuropa installieren. Dieses Midcourse-System ist nach der mittleren Flugphase von ballistischen Raketen benannt. Drei Phasen sind definiert: die Antriebsphase, in der die Rakete an Geschwindigkeit gewinnt, die Midcourse-Phase, die sie durch das Weltall führt und zuletzt der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Im Weltraum stößt eine Rakete einen oder mehrere Gefechtsköpfe ab. Frühwarnsatelliten und Radargeräte sollen den Start der Langstreckenraketen möglichst frühzeitig erkennen, um eine rasche Einleitung des Abfangvorganges zu ermöglichen. Somit können die am Boden positionierten Abwehrraketen die abgestoßenen Gefechtsköpfe anpeilen und vor Eintritt in die Erdatmosphäre zerstören – wenn ihre Geschwindigkeit relativ gering ist.

Was die Abfangraketen angeht, steht nur wenig fest. „Ursprünglich war die Rede von dreistufigen Raketen“, sagt Dr. Jürgen Altmann, Physiker an der Universität Dortmund. „Diese sind schnell und hochfliegend und für fiktive Langstreckenraketen aus dem Iran notwendig.“ Bei Kurz- und Mittelstreckraketen, deren Reichweite 3000 bis 5000 Kilometer beträgt, würden aber zweistufige Abwehrraketen ausreichen.

Im Fall der US-Raketenabwehr ist der Standort des Radars in der Tschechischen Republik und die der zehn Abwehrraketen in Koszalin in Polen geplant. Bislang hat sich das System in mehreren Dutzend Tests als nicht sehr zuverlässig erwiesen – die Abwehrrakete hat in den meisten Fällen versagt. Problematisch sind vor allem sogenannte Täuschkörper, Attrappen die den Radar in die Irre führen. Seit den sechziger Jahren werden Sprengköpfe von Raketen neben echten Sprengkörpern mit diesen Täuschkörpern bestückt, um Abwehrraketen von der eigentlichen Gefahr abzulenken. „Wenn nur ein einziger Körper im All fliegt, beträgt die Trefferwahrscheinlichkeit durch die Abwehrrakete 50 Prozent“, sagt Altmann. Wenn jedoch Hunderte von Objekten flögen, sei die Wahrscheinlichkeit nur sehr gering.

„Wegen der gleichen Geschwindigkeit im Weltall fliegen sowohl leichte Attrappen als auch Sprengkörper gleich schnell und sind nicht zu unterscheiden“, erklärt Dr. Götz Neuneck, Physiker am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Die Wissenschaftler bewerten die Raketenabwehr daher als nur eingeschränkt funktionstüchtig. „Das amerikanische System ist zwar durchaus in der Lage, anfliegende Sprengköpfe abzufangen“, sagt Neuneck. Aber Ablenkmanöver könne auch die Raketenabwehr nicht verhindern: „Wenn der Iran fähig ist, Interkontinentalraketen zu bauen, können sie auch geeignete Attrappen herstellen.“

Russland fühlt sich dennoch von den Plänen bedroht, denn eine iranische Rakete würde bei einem Angriff auf die USA über Russland fliegen. „In diesem Fall müsste auch die Abwehrrakete über russisches Territorium fliegen“, sagt Liebert. Hinzu kommt, dass das geplante Abwehrsystem auch gegen russische Raketen eingesetzt werden könnte. Allein die geografische Distanz zu den Raketensilos in Russland ist näher, als zu den iranischen: Das nächste liegt 1600 Kilometer entfernt, in den Iran ist es doppelt so weit. „Das Radar erkennt aufsteigende Raketen in Russland wesentlich schneller“, sagt Dr. Geoffrey Forden, Wissenschaftler am amerikanischen Massachusetts Institute of Technology. Auch das Radarsystem trägt zu dieser Verunsicherung bei. Verwendet werden Radargeräte, die das sogenannte X-Band mit hoher Auflösung nutzen. Im Kaukasus soll eine verlegbare kleine Version des X-Band-Radars zur Voreinweisung des Hauptradars installiert werden, das auch gegen Russland gerichtet werden könnte. In der tschechischen Republik wird das große Hauptradar installiert: Dies soll dann den Zielanflug der Abfangraketen lenken.

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