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Libanon: Armee riegelt Flüchtlingslager ab

Kämpfe zwischen Islamisten und libanesischer Armee in Tripoli gehen mit unverminderter Härte weiter.

Berlin - Radikale Islamisten und die libanesische Armee haben sich auch am Montag wieder schwere Kämpfe rund um das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al Bared im Norden des Libanon geliefert. Augenzeugen berichteten, hunderte von Soldaten mit Panzern hätten das Gebiet umstellt und mehrere Häuser in dem Lager unter Beschuss genommen. Über dem Lager, in dem rund 40 000 Palästinenser leben, stiegen Flammen und Rauch auf. Palästinensische Bewohner erklärten per Telefon, es lägen zahlreiche Tote in den Straßen und Verletzte erhielten kaum mehr als Erste Hilfe.

Am Vortag waren bei den Gefechten am Eingang des Lagers nördlich der Stadt Tripoli mindestens 27 Soldaten und 20 militante Islamisten getötet worden, unter ihnen auch der Bruder des in Berlin einsitzenden mutmaßlichen „Kofferbombers“ von Köln. Die Getöteten gehören der radikalen Splittergruppe Fatah al Islam an, die sich im vergangenen Jahr von der syrienloyalen Fatah al Intifada abgespalten hat. Mehrere sunnitische Politiker und Geistliche bekräftigten am Montag ihre Unterstützung für das Vorgehen der Armee, die in Tripoli von der Bevölkerung auf offener Straße mit Beifall empfangen wurde. So bezeichnete der Chef der Fatah im Libanon, Abu al Aynayn, die militante Splittergruppe Fatah al Islam als „eine Bande von Kriminellen, die einer externen Agenda folgen“. Er charakterisierte die Gruppe als eine fundamentalistische Bewegung, die sich Al Qaida und ihrer radikalen Ideologie verbunden fühle.

Ähnlich wie die libanesische Fatah-Spitze, lieferten sich in der Vergangenheit auch ranghohe Vertreter der Hisbollah und der Hamas öffentlich oder über Internet immer wieder heftige verbale Auseinandersetzungen mit der Führung von Al Qaida, vor allem mit dem ägyptischen Vize Aiman al Sawahiri. Aus ihrer Sicht schadet das extreme und total kompromisslose Vorgehen dieser internationalen Dschihadisten den jeweiligen regionalpolitischen Zielen.

Die schweren Kämpfe um das Flüchtlingslager Nahr al Bared erinnern auch an die sogenannten palästinensischen Lagerkriege Mitte der 80er Jahre, bei denen im Libanon über 4000 Menschen den Tod fanden und mehr als 10 000 verletzt wurden. Damals brachen die Gefechte aus, nachdem sich die internationale UN-Schutztruppe Anfang 1984 aus dem Libanon zurückgezogen hatte. Die schiitische Amal-Miliz, unterstützt von schiitischen und christlichen Einheiten der libanesischen Armee, versuchte im Mai 1985, die Palästinenserlager im Großraum Beirut unter ihre Kontrolle zu bringen. Nach einem von der Sowjetunion vermittelten Waffenstillstand blieben die bei den Kämpfen stark zerstörten Lager Sabra, Schatila und Burj al Barajneh jedoch praktisch unter palästinensischer Kontrolle.

Ein Jahr später, im Mai und September 1986, brachen die Kämpfe erneut aus – und griffen auch auf die großen Flüchtlingslager bei Tyros und Sidon im Süden Libanons über. Damals kämpften Kommandos der zuvor neu gegründeten Hisbollah an der Seite der Palästinenser. Ein von der Arabischen Liga vermittelter Waffenstillstand sah schließlich vor, dass die äußere Kontrolle an den Zufahrtsstraßen zu den Lagern fortan von der syrischen Armee ausgeübt wurde, während die innere Ordnung in der Hand der überwiegend säkularen palästinensischen Fatah-Bewegung blieb. Damit aber behielten die Lager mit ihren 400 000 Bewohnern innerhalb des Libanons ihren quasi exterritorialen Status. Nach dem Abzug der Syrer 2005 übernahm vielerorts die libanesische Armee die Kontrollpunkte an den Lagereingängen.

Die Gewalt in Tripoli wirft zugleich auch ein Schlaglicht auf die soziale Situation der Palästinenser im Libanon. Die 1948 aus dem heutigen Israel vertriebenen Palästinenser und deren Nachkommen fristen seit Jahrzehnten in den Lagern ein tristes Dasein und sind daher für radikale Ideologien empfänglich. In jüngster Zeit sind dort aber auch internationale Dschihadisten aus dem Irak eingesickert, um in den von den libanesischen Autoritäten undurchdringlichen Lagerlabyrinthen unterzutauchen.

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