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Donald hätte nichts zu fürchten. Dagobert Duck aber sollte in die steuerpolitische Pflicht genommen werden.

© imago stock&people

Liberale Steuerpolitik: Ran an das oberste Prozent

Wie die FDP ihr „Keine Steuererhöhung“-Mantra loswird, ohne ihren Markenkern zu verraten. Ein Gastbeitrag.

Jürgen Gerhards ist Seniorprofessor für Soziologie an der FU Berlin. Michael Zürn Direktor der Abteilung „Global Governance“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor an der FU. Beide arbeiten im Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script“ zusammen.

Die sich gerade neu konstituierende Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat sich viel vorgenommen. Von einer sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen, digitalen und gesellschaftlichen Erneuerung ist in dem Sondierungspapier die Rede. Während die ökologischen und sozialen Ziele und vor allem die Frage, wie der große Wurf finanziert werden soll im Ungefähren verharren, werden bestimmte Finanzierungsformen frühzeitig und sehr präzise abgelehnt. So soll die Schuldenbremse eingehalten werden, während Steuererhöhungen explizit ausgeschlossen werden. Das trägt die Handschrift der FDP. Und diese Unwucht von vagen klimapolitischen und sozialen Zielformulierungen bei präziser Ablehnung aller Steuererhöhungen ist der Grund, weshalb die FDP von nicht Wenigen bereits jetzt als Verhandlungssieger gesehen wird.

Einer der Gründe für diesen Etappenerfolg, der sich längerfristig als Pyrrhussieg herausstellen könnte, liegt darin, dass es den Freien Demokraten gelungen ist, mit der Forderung „Keine Steuererhöhung“ eine begriffliche Deutungshoheit zu gewinnen. Bei dem Wort „Steuererhöhung“ zucken alle Bürger erst einmal zusammen, weil sie erwarten, dass sie am Ende des Monats weniger in der Tasche haben werden. Auch angesichts der seit dem Herbst drastisch steigenden Energiepreise kann man nicht erwarten, dass eine Politik der Steuererhöhung von der Bevölkerung begrüßt würde.

Der von der FDP erfolgreich platzierte Begriff überdeckt aber, dass es der SPD und den Grünen gar nicht um eine allgemeine Steuererhöhung geht. Allein das obere ein Prozent der Bevölkerung soll sich nach Plänen der beiden Parteien stärker an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligen.

Sprengsatz unter dem Koalitionsvertrag

Die ambitionierten Ziele der drei Parteien, vor allem aber der ökologische Umbau der Gesellschaft lassen sich nach jetziger Planung der Koalitionäre nur dann realisieren, wenn sie durch Steuermehreinnahmen auf der Grundlage eines erheblichen Wirtschaftswachstums finanziert werden. Nach Ansicht der Mehrheit der Ökonomen ist das aber unwahrscheinlich, insbesondere wenn man die Gesamtheit der Corona-Kosten in die Bilanz einrechnet. Mit dem rigorosen Ausschluss aller Formen der Steuererhöhung legt sich die Koalition einen Sprengsatz unter den Koalitionsvertrag. Denn wenn das Steueraufkommen allein aufgrund von Wachstum nicht ausreichend ansteigt, lassen sich vor allem die von den Grünen und der SPD in die Koalition eingebrachten Zielvorstellungen nicht realisieren, was in der Folge wahrscheinlich zu einem frühen Ende der Koalition und in jedem Fall zum Scheitern der dringend notwendigen ökologischen Erneuerung führen wird.

Wie kann ein solches Scheitern vermieden werden? Die in den Sozialwissenschaften diskutierte Verhandlungstheorie schlägt hier einen einfachen Mechanismus vor: Die Sach- und Finanzlage wird nach einem gewissen zeitlichen Abstand einer Überprüfung unterzogen; auf dieser Basis werden die Ziele und vor allem die Finanzpolitik neu justiert. Bis dahin gilt das vertraglich Festgehaltene.

Ein solcher Revisionsmechanismus würde von vorneherein die Möglichkeit einer Neujustierung der Koalition für den Fall vorsehen, dass die klima- und sozialpolitischen Maßnahmen nicht umgesetzt werden können, weil die Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen nicht so wachsen, wie man sich dies vorgestellt hatte. Die Option einer Steuererhöhung setzt allerdings voraus, dass sie von der FDP mitgetragen wird, ohne dass diese ihren liberalen Markenkern aufgeben muss. Denn auch das könnte sonst zur Aufkündigung der Koalition führen.

Die Forschungen zum liberalen Skript im Berliner Exzellenzcluster zeigen, dass der Liberalismus sich nicht per se gegen Steuererhöhungen stellen muss. Gegen Steuererhöhungen spricht aus liberaler Sicht vor allem die Betonung des Leistungsprinzips. Man würde aber das liberale Verdienstprinzip gründlich missverstehen, wenn man Leistung allein am Preis messen würde. So stehen die in einer digitalisierten und globalisierten Ökonomie erwirtschafteten Supereinkommen kaum noch in einem zu rechtfertigenden Verhältnis zur erbrachten Leistung.

Weniger als Prozent der besser Verdienenden wäre betroffen

Leistet ein Spitzenfußballer tatsächlich das 1300-fache einer Krankenschwester in Coronazeiten? Wenn die Antwort nein lautet, dann spricht gerade im Namen des Leistungsprinzips sehr viel für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die entsprechenden Vorschläge von SPD und Grünen würden weniger als ein Prozent der besser verdienenden Bevölkerung betreffen und gleichzeitig die Preisverzerrungen des Marktes zugunsten real erbrachter Leistungen mindern. Man würde das liberale Leistungsprinzip dadurch nicht schwächen, sondern stärken.

Eine zweite Steuerart erscheint uns heutzutage insbesondere vor dem Hintergrund des liberalen Gedankenguts geradezu als zwingend reformbedürftig. Wer sich in einem Land, in dem alleine 2020 2,6 Billionen Euro vererbt worden sind, gegen eine Erhöhung der Erbschaftssteuer ausspricht, unterläuft das Leistungsprinzip, zumal es Modelle gibt, wie die Steuer so gestaltet werden kann, dass sie familiengeführte Unternehmen nicht schädigt. In jedem Fall ist das vererbte Vermögen nicht von dessen Eigentümer erwirtschaftet worden und kann folglich nicht seinen Leistungen zugeordnet werden.

Vererbtes Vermögen ist ein feudales Relikt der Privilegierung auf der Basis von Abstammung und hat mit individueller Leistung nichts gemein. Eine Partei, die so stark das Prinzip der individuellen Selbstverantwortung und Leistung in den Mittelpunkt rückt wie die Liberalen, sollten sich gegenüber der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Erbschaftssteuer als offen erweisen, will sie nicht in den Verdacht kommen, gegen ihre eigenen normativen Prinzipien zu handeln und Klientelpolitik für die Privilegierten zu betreiben.

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Insofern könnte eine Revisionsklausel im Koalitionsvertrag Sinn machen. Ein Kassensturz im Jahr 2023 und eine Neuanpassung der Finanzpolitik, falls der digitale, klimapolitische und sozialpolitische Wandel nicht allein durch Wirtschaftswachstum zu finanzieren ist.

Unsere inhaltliche Argumentation könnte einen etwas gewagten personalpolitischen Vorschlag nahelegen. Gelänge es eine alle Parteien bindende Revisionsklausel in den Koalitionsvertrag einzubauen, dann könnte es aus sozialdemokratischer und grüner Sicht gar nicht so unklug sein, das Finanzministerium Christian Lindner zu überlassen. Ein Finanzminister Lindner würde unangenehm auffallen, wenn er permanent Haushaltslöcher verkünden und stopfen müsste. Es könnte insofern in seinem eigenen Interesse liegen, einer notwendig gewordenen Revision und damit auch Steuererhöhungen zuzustimmen, wenn das Wachstum geringer ausfällt als erhofft. Ob er diesen Gefallen einem grünen oder sozialdemokratischen Finanzminister tun würde, erscheint fraglich.

Jürgen Gerhards, Michael Zürn

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