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Libyen-Einsatz: Deutschland heiß erwischt

Plötzlich steht Deutschland in der Libyen-Frage als Drückeberger da: Dabei sein, aber nicht mitmachen. Gaddafi stoppen, aber nicht mit Bundeswehrsoldaten. Und die Regierung gerät vor dem Parlament in Erklärungsnot.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Kurz nach Freitagmittag ist für Guido Westerwelle der Moment, da muss er sich endgültig vorkommen wie im falschen Film. Der Außenminister hat wenig geschlafen in der Nacht und viel telefoniert. Der UN-Sicherheitsrat tagt in New York, wenn hierzulande die meisten im Bett liegen. Es geht in dem Gremium um eine Frage, die seit Tagen viele Gemüter bewegt, auch die deutschen. Selbst die Schreckensbilder aus Japan haben den anderen Schrecken ja nie ganz verdrängt – das langsame, quälende, scheinbar unaufhaltsame Ende der Revolution in Libyen. Die Bomben, die Muammar al Gaddafi auf sein Volk werfen ließ. Der Vormarsch der Armee in Städte, die die Aufständischen übernommen hatten. Wenige Kilometer vor Bengasi steht die Artillerie des Diktators, und ihnen entgegen nur Heldenmut und Kalaschnikows. Alles scheint vorbei.

In dieser Nacht beschließt die Weltgemeinschaft, dass es so nicht enden darf. Doch Deutschland enthält sich im Sicherheitsrat. Und jetzt springt Heidemarie Wieczorek-Zeul im Bundestag auf und verlangt in empörtem Ton den Krieg. Ausgerechnet die rote Heidi! Die SPD-Linke, die als Entwicklungsministerin stets vorneweg war mit Kritik am Militär. „Es ist eine Schande, dass sich die Bundesregierung enthalten hat“, ruft Wieczorek- Zeul in den Saal. „Gegenüber Despoten kann es keine Enthaltung geben!“

Verkehrte Welt. Dabei hat sich Westerwelle alle Mühe gegeben zu erklären, weshalb die Bundesregierung das militärische Eingreifen gegen Gaddafi für richtig hält und trotzdem den Finger nicht dafür gehoben hat. Er hat in ruhigem Ton beschworen, ganz Außenminister und gar nicht FDP-Chef, dass man „immer auch die Folgen“ bedenken müsse. Aber vielleicht war das nicht deutlich genug für ein Parlament, das vom Schwenk der Weltgemeinschaft überrascht wurde.

Westerwelle lässt nur in diplomatischen Formeln durchblicken, was der Grund für die Enthaltung war: dass die Bundesregierung nämlich immer die Sorge hatte, bei einer Flugverbotszone könne es nicht bleiben, wenn Gaddafi seine Truppen am Boden einfach weiter vormarschieren lässt. Der Rutschbahneffekt in einen regelrechten Krieg in Nordafrika – Westerwelle spielt darauf nur an mit Erinnerungen an die Entwicklung in Afghanistan vom Schlag gegen den Terror zum Jahrzehnt mühsamer Befriedungsversuche.

Der Außenminister sagt auch nicht, was den Fachleuten im Parlament durchaus bewusst ist: Deutschland hat neben den USA als einziges Nato-Land die militärische Fähigkeit, ein Flugverbot langfristig durchzusetzen. Die ECR-Tornados mit Anti-Radar-Raketen waren schon im Kosovokrieg unentbehrlich. „Wenn wir in New York mit Ja gestimmt hätten“, sagt ein deutscher Spitzendiplomat, „dann hätten wir zehn Protokollerklärungen abgeben können, dass wir bei der Umsetzung aber nicht mitmachen – es hätte nichts genutzt.“ Nur die Enthaltung, so das Kalkül, konnte den Druck im Bündnis von den Deutschen nehmen. Das ist ein ziemlich kompliziertes Argument.

Es ist nicht leichter zu verstehen, wenn man weiß, dass die US-Regierung genau so skeptisch war wie die Deutschen, aber am Mittwoch umgeschwenkt ist. Man habe Gaddafi eine Chance gegeben, wird Präsident Obama am Freitag sagen, aber er habe sie nicht genutzt – die Konsequenz: Die USA sagen Ja.

Es ist noch viel schwerer zu verstehen, wenn im Fernsehen gleichzeitig die Bilder von jubelnden Menschen in den Straßen von Bengasi zu sehen sind. Tausende sind nach dem Gebet auf den zentralen Platz der Stadt geströmt. Sie schwenken die alte Nationalflagge der Monarchie, die Gaddafis „Revolution“ einst gestürzt hatte, aus Maschinenpistolen rattern Freudenschüsse in den Himmel.

Oder nehmen wir das Bild, das der libysche Außenminister Moussa Koussa an diesem Tag abgibt. Seine Hände zittern, er liest vom Manuskript, als er eine sofortige Waffenruhe und das Ende aller militärischen Operationen verkündet. Das ist ein anderer Ton als das Geschrei, das Gaddafi zuvor angestimmt hat. Die UN-Resolution sei ihm egal, jeden Angreifer werde die Hölle empfangen: „Wenn die Welt irre wird, werde ich es auch.“

Die Aufständischen in Bengasi reagieren denn auch skeptisch auf Moussas Ankündigung. Sie haben zu viele taktische Manöver erlebt, Scheinrückzüge, denen dann doch wieder Kanonaden und Angriffe folgten. „Ein Bluff“, sagen sie, um den europäischen Kampfjets die Legitimation zu nehmen. Gerade jetzt, da Moussa davon spricht, dass man den UN-Beschluss akzeptiere, nehmen Soldaten die Stadt Misrata 200 Kilometer östlich von Tripolis den ganzen Tag unter schweren Beschuss durch Artillerie und Panzer. Es heißt, mindestens vier Menschen seien getötet und 70 verletzt worden. Aber wie eine Niederlage klingt das noch nicht.

Nun schöpfen die Libyer im Osten Hoffnung. In wenigen Stunden, hatte ein französischer Regierungssprecher angekündigt, könne der Angriff beginnen. Von Flugzeugträgern und Mittelmeer-Basen aus könnten Franzosen und Briten die militärische Infrastruktur der Libyer ins Visier nehmen, vor allem Flughäfen und Kasernen. Die UN hat nicht nur eine Flugverbotszone erlaubt. Sie hat die Weltgemeinschaft ermächtigt, die Opposition vor Gaddafis Truppen in Schutz zu nehmen – nicht mit Bodentruppen, aber immerhin aus der Luft. Nicolas Sarkozy hat seit Tagen auf diese Lösung gedrungen. Der französische Präsident wird auf den Straßen von Bengasi wie ein Held gefeiert. Und vor dem Justizpalast an der Corniche, der den Rebellen als Hauptquartier dient, ist seit Tagen neben der Fahne der Aufständischen auch die französische Tricolore aufgezogen.

Westerwelle wird nicht wie ein Held gefeiert. Und die Gemeinsamkeit umfasst nur den kleinen Saal, in dem sich die FDP-Fraktion am Mittag eilends zur Sondersitzung versammelt. Schon bei der Union eine Tür weiter geht es drunter und drüber. Die meisten Abgeordneten trifft die Nachricht aus New York unvorbereitet. Alle haben diese Woche bange nach Japan geschaut und Baden-Württemberg. Von den Hinweisen der Fraktionsführung auf die Lage in Libyen ist bei den meisten nur hängen gebleiben: Wir ziehen nicht mit deutschen Soldaten in den Krieg.

Die Enthaltung im Sicherheitsrat hat, sagt einer aus der Fraktionsspitze, die meisten „kalt erwischt“. Deutschland Arm in Arm mit Ländern wie Brasilien und Indien, in trauter Gemeinsamkeit mit Russland und China statt im Konzert mit den eigenen Verbündeten – das Wort vom „deutschen Sonderweg“ macht im Fraktionssaal die Runde. Die Regierung hätte da doch ruhig Ja sagen können, findet der frühere Verteidigungsminister Franz-Joseph Jung. Der ist gegen einen Bundeswehr-Einsatz in Nordafrika. Aber allein „Bündnistreue“, sagt er, hätte doch Zustimmung erfordert. Der Ex-Minister ist nicht allein. Eine gute Stunde lang debattiert die Fraktion heftig. Kritiker um Kritiker steht auf und schleudert der stummen Riege auf der Führungsbank sein Unverständnis entgegen. Irgendwann steht Thomas de Maizière auf und flüstert mit Fraktionschef Volker Kauder. Kauder hat vorher viel nach unten geguckt. Jetzt steht er auf und sagt, dass man sich doch vorstellen könne, die Bündnispartner wenigstens indirekt zu unterstützen: Statt deutsche Soldaten in den Awacs-Aufklärungsflugzeugen im Kampf um die libysche Lufthoheit einzusetzen, könnte die Bundeswehr ihre Awacs-Spezialisten nach Afghanistan schicken, die dann dort Soldaten anderer Nato-Staaten ersetzen.

Westerwelle wird diesen Ringtausch später im Bundestag andeuten. Aber die Regierung merkt wohl, dass Andeutungen heute nicht reichen. So tritt die Bundeskanzlerin noch einmal vor die Presse. Auch Deutschland wolle helfen, versichert Angela Merkel, „damit der Krieg von Gaddafi gegen sein eigenes Volk ein Ende hat“. Die Diskussion, wer wo wann wohin Militär schicke – „die ist für mich jetzt abgeschlossen“. Basta.

Es ist der Versuch, die Debatte totzutreten und die verkehrte Welt geradezurücken, die kurz zuvor im Bundestag zu besichtigen war. Von Ruprecht Polenz zum Beispiel, dem CDU-Mann, der dem Auswärtigen Ausschuss vorsteht. „Der Beschluss ist richtig“, sagt Polenz und richtig sei auch, „dass sich Deutschland enthalten hat“. Bei der Union rührt sich kaum eine Hand. Selbst in der ersten Reihe patscht nur Kauder die Finger ein paar Mal aufeinander. Polenz sagt aber zugleich den Satz, der das Problem in aller Schärfe umreisst: Deutschland hat in den Vereinten Nationen auf harte Sanktionen gedrungen, hat unterschrieben, dass Gaddafi weg müsse; jetzt stimmt es der militärischen Konsequenz nicht zu. „Da klafft natürlich eine operative Lücke“, sagt Polenz und wendet sich in Richtung Regierungsbank. Da gucken sie fast alle nach unten statt in den Saal.

Im Saal herrscht allerdings auch verkehrte Welt. SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sind auf Westerwelles Seite. Aber sie sind im Wahlkampf unterwegs. Hier bestimmt ein Rolf Mützenich den Ton der SPD, der den Außenminister bezichtigt, die Außenpolitik für den Wahlkampf zu instrumentalisieren. Westerwelle wird regelrecht bleich. Dann muss er sich anhören, wie Renate Künast in den Krieg ziehen will: Manchmal müsse man seine Verantwortung „annehmen“, sagt die Grüne.

Nach der Debatte schließt Hans-Christian Ströbele vor dem Reichstag sein Fahrrad auf. „Wenn es wirklich darum geht, Menschen zu retten“, sagt der Linksgrüne, „dann darf man nicht schießen“. Er ist selbst bei den Grünen jetzt fast der letzte Pazifist. Ströbele schüttelt den Kopf. „Wer hätte gedacht, dass ich irgendwann mal an der Seite von Guido Westerwelle stehe!“

Mitarbeit Martin Gehlen

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