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Politik: Live ist das Leben

Von Gerd Appenzeller

Der Mann weiß, was er will. Der Mann weiß, wie man ein Publikum gewinnt. Der Mann weiß, wie man Tiger zu Plüschtieren macht. Der Mann weiß, wie man mit den Medien umgeht. Aber als Kanzler ist Gerhard Schröder vermutlich gescheitert.

Die Frau weiß, was sie will. Die Frau weiß, wie man ein Publikum gewinnt. Die Frau weiß, dass man Plüschtieren manchmal erlauben muss, sich wie Tiger zu benehmen. Die Frau weiß nicht, wie man mit Medien umgeht. Vermutlich wird Angela Merkel trotzdem die Nachfolgerin von Gerhard Schröder sein.

Kann ein einziges TV-Duell der beiden Merkels Kanzlerschaft nicht, ein zweites ihr Ziel hingegen sehr wohl gefährden? Darum geht der Streit zwischen dem amtierenden Regierungschef und seiner sich schon fast als dessen Nachfolgerin fühlenden Herausforderin. Natürlich sagt Merkel das nicht. Sie wolle direkt mit den Menschen sprechen, erklärt ihr Unterhändler Willi Hausmann. Sie ziehe den unmittelbaren Kontakt mit dem Wähler der eher sterilen Atmosphäre des Fernsehens vor, heißt es. Aber das wohl überlegt klingende Argument hebt ihr Zögern dennoch nicht aus den Niederungen der Drückebergerei auf die Ebene kluger Taktik. Jeder weiß, was die wahren Gründe sind, und natürlich weiß auch sie, dass es jeder weiß: Sie fürchtet, ihr Gegner sei ihr im direkten Vergleich haushoch überlegen.

Aber völlig kneifen geht nicht. Schließlich waren die den Amerikanern abgeschauten direkten Konfrontationen der Spitzenkandidaten vor den Fernsehkameras im letzten Bundestagswahlkampf auch in Deutschland ein durchschlagender Erfolg. Selbst wenn sie nach allgemeiner Überzeugung nicht die Wahl entschieden haben. Aber so ganz genau weiß das niemand, und sich feige nennen lassen will doch keiner. Also bietet das Adenauer-Haus wenigstens eine Diskussionsrunde an. Eine oder keine, das ist die Devise. Eins plus wird wohl herauskommen, will sagen: mehr als die 60 Minuten von 2002. Aber nicht viel mehr, weil die Zuschauer wahrscheinlich nach spätestens 90 Minuten aussteigen. Doch verloren hat Angela Merkel jetzt schon, ein bisschen. Denn sie hat Angst vor einer Blamage gezeigt, und dieser Eindruck wird bleiben. Obwohl sie doch eigentlich nichts zu verlieren hat.

Wer sagt, dass der Eloquentere auch beim Wähler besser ankommt? Was belegt, dass demonstrative Selbstsicherheit den Bürger mehr überzeugt als ein nachdenklicher Ton? Die Grenze zwischen Faktensicherheit und Besserwisserei ist schmal, und die Menschen widert es an, wenn Politik von oben herab kommt. Auch deshalb hatte 2002 Schröder die Nase vor Stoiber, auch deshalb siegte in Schleswig-Holstein Peter Harry Carstensen und nicht Heide Simonis, auch deshalb gewann an Rhein und Ruhr Jürgen Rüttgers und nicht Per Steinbrück. Wagen aber muss man, frau es schon.

Vielleicht verbirgt sich hinter dem Ausweichen vor der unversteckten Kamera jedoch eine ganz andere Angst. Schröder hat gerade am Sonntag erst in der Sendung „Sabine Christiansen“ bewiesen, dass zur Medienpräsenz mehr gehört als Schlagfertigkeit, Charme und Faktenwissen. Schröder konnte begründen, warum er seine und keine andere Politik gemacht hat und wie er weiter regieren würde. Von Merkel kennen wir, einmal abgesehen von der Mehrwertsteuererhöhung, bisher wenig Präzises. Mit Absichtserklärungen, dazu manchen wolkigen, kann man wohl gerade noch ein überschaubares Publikum für sich gewinnen. Eine direkt übertragene Fernsehdebatte allerdings steht so niemand durch. Und die ganze Nation schaut zu. 14 Millionen Menschen haben 2002 jede der beiden Gesprächsrunden verfolgt. 14 Millionen oder einige überschaubare Wahlveranstaltungen: Angela Merkel hat sich, vor diese Entscheidung gestellt, für die kleine Form entschieden.

Falsch entschieden. Vermutlich werden diesmal weit mehr als 14 Millionen Menschen die eine Fernsehdebatte verfolgen. Und vielleicht wird man diesmal nach der Sendung sagen, sie könne entscheidend sein, so oder so – such is live.

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