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Machtkampf in Ägypten: „Der Präsident mauert sich ein“

Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad über den Konflikt in seinem Heimatland.

Von Matthias Schlegel

Herr Abdel-Samad, in Ägypten wächst der Widerstand gegen Präsident Mursi, weitere Proteste sind angekündigt. Droht dem Land ein Bürgerkrieg?

Nein, Ägypten hat nicht die Komponenten für einen Bürgerkrieg. Ägypten ist schon seit dem Sturz Mubaraks gespalten. Ich befürchte aber, dass die politische und gesellschaftliche Spaltung durch die Dekrete des Präsidenten verschärft wird. Der Präsident mauert sich wie Mubarak ein: Er spricht nur zu seinen Anhängern und hört nur auf sie. Dass er jetzt Leute mobilisiert, um ihn zu unterstützen, ist ein Mittel der Diktatur.

Was müsste Mursi tun, um die Situation noch zu retten?

Er muss die unseligen Dekrete zurücknehmen oder stark abschwächen. Er muss die Gewaltenteilung wiederherstellen. Wir haben in Ägypten unabhängige Justizapparate, die sogar unter Mubarak ihre Unabhängigkeit bewiesen haben. Es gibt zwar einzelne Personen, die abgesetzt werden müssten, weil sie dem alten Regime angehörten. Die Lösung kann aber nicht sein, dass Mursi die Befugnisse von Exekutive, Legislative und Judikative an sich reißt. Das hat nicht einmal Mubarak gewagt.

Welche Rolle spielen die alten Eliten?

Sie spielen natürlich noch eine Rolle, das sieht man auch an den Demonstrationen. Da handelt es sich nicht um eine einheitliche Gruppe wie damals gegen Mubarak. Es laufen auch Anhänger des alten Regimes mit. Auch Geschäftsleute, die unter Mubarak groß geworden sind und sich heute in wirtschaftlichen Revierkämpfen mit den Muslimbrüdern befinden, die nun versuchen, auch die Wirtschaft zu kontrollieren.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Als Mursi gewählt wurde – auch mithilfe des zivilen Lagers –, ging er zum Tahrir-Platz und sagte: Ich will Präsident aller Ägypter sein. Die Leute empfanden das als das richtige Signal. Er kann so gut reden, aber handelt nicht entsprechend. Das eigentliche Problem ist die Verfassungskommission. Die meisten zivilen Kräfte haben sie verlassen, weil die Muslimbrüder der Verfassung ihre islamistische Handschrift aufdrücken. Mursi muss eine Verfassung ermöglichen, die durch gesellschaftliche Verhandlungen und Akzeptanz zustande kommt, damit sich jeder repräsentiert fühlt.

Hamed Abdel-Samad, 1972 als Sohn eines sunnitischen Imams bei Gizeh geboren, ist deutsch-ägyptischer Politologe, Historiker und Autor.

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