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Hier ein VW, wie er aussehen soll. Der von Pascale Hugues sieht jetzt aus wie ein Mund mit Zahnlücke.

© dpa-tmn

"Made in Germany": Wenn das VW-Zeichen am Kühlergrill fehlt

Am Auto fehlt etwas, jemand hat das VW-Zeichen geklaut. Wer macht so etwas - und warum? Weil VW immer noch das Versprechen auf etwas Gutes und Wertvolles ist? Eine Kolumne

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Als ich gestern in mein Auto steigen wollte, das in einem winzigen Dorf hoch oben in den ligurischen Bergen parkte, kam es mir merkwürdig nackt vor. Zugegeben, das Auto hatte nie Glück. Seit Jahren verfolge ich seinen allmählichen Niedergang. Nach seiner ersten Nacht ganz allein vor meinem Haus in Berlin erwachte es ohne seine Felgenkappen mit dem VW-Emblem. Gestohlen! Von dieser ersten Verstümmelung hat der Wagen sich nie mehr ganz erholt. Sein früherer Schwung war dahin. Ein paar Wochen danach entdeckte ich eines Morgens einen langen weißen Kratzer an seiner Seite. So tief und gleichmäßig, dass er nicht zufällig entstanden sein konnte. Ein Nachbar hatte alles beobachtet: Am Abend hatte ich schlecht geparkt, und jetzt behinderte mein Wagen die Fußgänger. Ein wütender Passant hatte seinen Schlüssel über den roten Lack gezerrt. Selbstjustiz. Ich hatte mich getröstet: Nicht so schlimm, Kratzer und Dellen im Auto gehören in Frankreich zur Folklore wie in Italien die aufgehängte Wäsche vor dem Fenster.

Diesmal war das in den Kühlergrill integrierte VW-Wahrzeichen verschwunden. An seiner Stelle ein schwarzes Loch in der roten Karosserie, wie ein fehlender Zahn. Ich stelle mir vor, wie der Dieb unter dem Sternenhimmel durch das schlafende Dorf schleicht. Er kniet sich vor die Motorhaube, schraubt das Sinnbild des „Made in Germany“ ab und steckt es ein. Deutschland hatte ihm mit seinem kostbarsten Ornament vor der Nase herumgefuchtelt, da konnte er nicht widerstehen. Ist das Auto nicht das potenteste Symbol des Wirtschaftswunders? Der wichtigste Grund dafür, dass dieses Land Exportweltmeister ist? Eine kräftige Triebfeder für Nationalstolz? VW – die Schlichtheit der beiden Buchstaben ist ein Versprechen: Dieses Auto wird mit jeder Straße fertig! Dieser Motor lässt Sie nicht im Stich!

Der Löwe von Peugeot? Ein Witz!

Eine Witzfigur ist dagegen der kleine Löwe von Peugeot, der auf den Hinterbeinen läuft. Ganz bestimmt würde kein Mensch auf die Idee kommen, diesen Tollpatsch zu klauen. Banal auch die beiden spitzen Klammern von Citroën oder die vier Ringe von Audi. Zu angeberisch das sich aufbäumende Pferd von Ferrari. Unseriös der Spirit of Ecstasy, die Kühlerfigur von Rolls Royce. Diese schöne junge Frau, die Arme nach hinten gestreckt, den Oberkörper in Fahrtrichtung, ähnelt eher einer zarten Elfe als einer kräftigen Fahrerin, die sich weder von Schlaglöchern noch von Aquaplaning beeindrucken lässt. Und außerdem lässt ihre britische Arroganz nichts Gutes ahnen. Viel Lärm um nichts? Kann man sich auf dieses Snobwunder wirklich verlassen? VW dagegen! Das silbrig glänzende Emblem will niemandem etwas vormachen.

Eine Frage vor allem beschäftigt mich seither: Was kann man mit den ineinandergehakten V und W überhaupt anfangen? Sie bei Ebay verkaufen? Sie in eine Vitrine zu dem Mercedes-Stern und den anderen Trophäen nächtlicher Beutezüge legen? Schließlich werden die absurdesten Sachen gesammelt: rosa Steine vom Strand, Zuckertütchen von der Untertasse des Espresso, selbst die Seifen von Hotels. Diese bedeutungslosen Dinge erinnern an glückliche Tage wie diesen, oben in den ligurischen Bergen – aber das Wahrzeichen eines Autos? Steht hinter diesem Diebstahl nur gewöhnliche Profitgier oder die Marotte eines Fetischisten? Ich habe beschlossen, einen eher kämpferischen Geist hinter dieser Tat zu vermuten: Der stolze Rebell flaniert in der Abendkühle über die Promenade der Badeorte an der Riviera. Er trägt mein VW-Symbol als Medaillon um den Hals und spuckt dem Kapital ins Gesicht.

- Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke

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