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Gegen die Verfassung wird demonstriert, mit einem Bekenntnis zur Republik.

© dpa

Mächtig umstritten: Ungarn gibt sich ein neues Grundgesetz

Für die einen ist es ein "Verrat an der Republik", für die anderen "ein ganz normaler demokratischer Vorgang": Ungarns Regierungschef Viktor Orban ließ sich am Montag mit seiner Zweidrittelmehrheit im Parlament eine neue Verfassung absegnen.

Für das neue Grundgesetz stimmten 262 Abgeordnete bei einer Enthaltung, 44 votierten dagegen. Die neue Verfassung ersetzt die bisherige aus dem Jahr 1949, die nach der Wende 1989 umfassend revidiert worden war. Der frühere sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany (2004 bis 2009) kritisierte bei einer Protestkundgebung bereits am Samstag, die Verfassung diene einzig dem Streben Orbans nach einer „Alleinherrschaft“. Zudem sei die Verfassung ohne Bürgerbeteiligung in einem „Schnellverfahren“ entstanden. Die Regierung weist das strikt zurück.

Tatsächlich hält sich Orban formal an die Spielregeln des Rechts und an die Möglichkeiten, die ihm die Zweidrittelmehrheit einräumt. Dennoch haben kürzlich mehr als 80 namhafte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland eine Petition verfasst, in der sie ihre „große Sorge“ in Bezug auf die neue ungarische Verfassung zu Papier brachten.

Schwerwiegendster Kritikpunkt ist die Einschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichtshofes, der wohl wichtigsten Instanz zur Wahrung der ungarischen Demokratie. Der Kreis der Personen, die sich an das Verfassungsgericht wenden kann, wurde eingeschränkt, das Pensionsalter der Richter von 70 auf 62 Jahre gesenkt. Ungarnkenner wie Paul Lendvai sehen darin einen Schritt, die amtierende Richterschaft in den Ruhestand zu zwingen. „Der gesamte Richterstand wird geköpft“, sagt Lendvai. „Die Regierung will die Weichen stellen, um alles machen zu können, was sie will.“

Als weiterer Schritt, um die Macht von Orbans Partei Fidesz zu zementieren, gilt die Verankerung eines sogenannten Budgetrats in der Verfassung: Dieser kann jederzeit einen vom Parlament beschlossenen Haushaltsplan per Veto annullieren. Der Budgetrat wird auf neun Jahre ernannt. Das hat Langzeitfolgen: Sollte bei den nächsten Wahlen 2014 eine neue Regierung an die Macht kommen, könnten Fidesz-Parteigänger im Budgetrat diese über Jahre lahmlegen. Eine gezielte Haushaltspolitik wird so unmöglich. Ähnliches gilt weiterhin für das umstrittene ungarische Mediengesetz: Zwar hatte Orban auf Druck der EU einige Punkte entschärft. Seinen Medienkontrollrat, den er selbst auf neun Jahre ernennt und der bei unliebsamer Berichterstattung existenzgefährdende Geldstrafen verhängen darf, ließ Orban sich aber nicht nehmen.

Als folkloristisches Element könnte man dagegen die mit einigem nationalen Pathos verfasste Präambel des neuen Grundgesetzes betrachten, in der es etwa heißt: „Wir ehren die Heilige Krone, die seit 1000 Jahren die Einheit der Nation verkörpert.“ Auch Werte wie Christentum, Vaterland und Familie werden hochgehalten. Für Außenminister Janos Martonyi soll die Präambel der „Nation helfen, sich ihrer selbst zu vergewissern“.

Die Opposition kritisiert, dass die Verfassung von einer stark „christlich-rechten Ideologie“ geprägt sei und der Gesellschaft ein Weltbild aufzwingen wolle, durch das Atheisten, Homosexuelle oder Alleinerziehende benachteiligt würden. Lendvai folgert, der Beschluss der neuen Verfassung sei ein bedenklicher Schritt, die „Dekoration für den Übergang zu einem System, das dem westeuropäischen Modell immer weniger ähnelt“.

Nina Koren

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