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Politik: Mama lernt mit

An der Computer-Spiel-Schule in Leipzig erklären Kinder ihren Eltern die virtuelle Welt. Denn die können keine sinnvollen Regeln aufstellen, ohne zu verstehen, was bei Boom Blox, Skylanders und den Siedlern vor sich geht.

Der Weg zu Super-Mario führt vorbei an Friedrich Schiller. Wer von den Gohlis-Arkaden kommt und die Leipziger Computer-Spiel-Schule sucht, läuft auch an der Büste des Dichters vorbei, die in einem Fenster des nach ihm benannten Gymnasiums aufgestellt ist. Dort steht in einem Raum im Souterrain eine Indiana-Jones-Figur in der Ecke, an den Wänden hängen Bilder von Cynder und Chop Chop, deren Welt Skyland dringend gerettet werden muss, daneben Gitarren für den „Guitar- Hero“ – und natürlich Super-Mario selbst. Neben zwei Flachbildschirmen stehen auf vier Tischreihen die Computer, von der Decke schwingt sich eine bunte Papiergirlande durch das Zimmer. Eine Kreuzung aus Computerlabor und Partykeller, die mit mehr als 1000 Spielen für Wii, Playstation, X-Box und Computer viele Jugendliche begeistert, manchen Eltern, die ihr Kind lieber bei der Lektüre der „Räuber“ sehen würden, eher als Ansammlung größter Schrecken erscheinen dürfte.

Dorothea Rosenberger streicht sich die dunklen Haare aus dem Gesicht, die ihr der Frühlingswind über die Augen geweht hat. „Viele Eltern haben Angst“, sagt sie, „weil sie gar nicht wissen oder verstehen, was ihr Kind da am Computer macht.“ Dass sich das ändert, ist der Projektleiterin der Computer-Spiel-Schule ein Anliegen. Eigentlich hat sie frei, es ist ihr 30. Geburtstag. Doch jetzt sitzt sie auf einer Bank im Pausenhof des Gymnasiums und spricht über das Konzept der ComputerSpiel-Schule, die vor drei Jahren der im Dezember verstorbene Medienpädagoge Hartmut Warkus gegründet hat.

Hier sollen, im besten Fall, die Eltern etwas von ihren Kindern lernen. An drei Nachmittagen die Woche ist die Schule geöffnet, wer will, kann für einen Euro die Stunde spielen. Wer aber mit Eltern oder Großeltern kommt, zahlt nichts. Meist würde das Kind ein Spiel auswählen und die Eltern säßen erst einmal still daneben, sagt Rosenberger. Doch wenn die Eltern nach einiger Zeit erkennen, wie das Kind „seine Spielweise optimieren könne“, und sie dabei helfen können, beginne meist das, was die Medienpädagogin von der Uni Leipzig „Spielen im Dialog der Generationen“ nennt.

Moritz dagegen kann nicht nur Erwachsenen etwas beibringen. Zwei Kumpels rufen ihn ständig, wenn bei dem Strategiespiel „Siedler“ nicht klar ist, ob jetzt besser eine Burg gebaut oder Geld verdient werden sollte: „Moritz, du erklärst das so gut“. Die Lehrerin hat den Zehnjährigen zusammen mit anderen Hortkindern in die Computer-Spiel-Schule mitgenommen. Es ist Erlebnistag, da machen sie etwas besonderes. Von allen Seiten fiept und dudelt es, von Zeit zu Zeit ertönt der Jubel virtueller Schalke- oder Bayernfans. Moritz, der eigentlich anders heißt, wechselt wieselflink zwischen den Computern seiner Freunde und spielt selbst mit einem Schiffsimulator, den er noch nicht kennt. Die „Siedler“ hat er daheim, und auch „ein Ballerspiel ab zwölf“, worauf er mächtig stolz ist. „Von meinem Vater, der spielt mit mir.“ Wie oft er so spiele? Ein verächtliches Schnauben: „Ich hänge schon nicht dauernd vor dem Computer rum“.

Tatsächlich spielen heute fast alle Kinder und Jugendlichen Computerspiele. In der Generation ihrer Eltern sind das deutlich weniger Menschen, und die Großeltern, die sich um ihre Enkel kümmern, kennen sich oft gar nicht aus. Jeffrey Wimmer von der TU Ilmenau vermutet deshalb hinter dem schlechten Image von Computerspielen auch einen Generationenkonflikt. Viele Eltern, aber auch Lehrer, Journalisten oder Politiker nutzen demnach aus Unbehagen gegenüber dem Unbekannten Computerspiele als Sündenbock für vieles, was sonst nur schwer zu begreifen ist. Zuletzt als Erklärung für den Amoklauf des 17-jährigen Tim K. vor drei Jahren, der in Winnenden 15 Menschen und dann sich selbst erschoss. Dabei ist bis heute umstritten, dass es die Computerspiele sind, die Jugendliche langfristig aggressiver machen. „Wenn ein Kind den ganzen Tag nur noch Ego-Shooter spielt, ist doch vorher schon etwas schiefgelaufen“, glaubt Rosenberger. Ihr Credo ist deshalb: Miteinander über die Spiele reden, so früh und so lange wie möglich.

Nils’ Mutter hat sich das zu Herzen genommen. Die zierliche Frau mit der leisen Stimme hat zu Hause keinen Computer. „Weil ich ihn nicht brauche und auch nicht will.“ Aber ihr neunjähriger Sohn soll trotzdem Computerspiele ausprobieren dürfen. So kommt sie mit ihm fast jede Woche für eine Stunde in die ComputerSpiel-Schule. Heute spielen sie zusammen „Boom Blox“, eine Art Dosenwerfen auf dem Bildschirm. Mit jedem Schwierigkeitsgrad wird es komplizierter, die verschachtelten Türme zum Einsturz zu bringen. Als nach mehreren Versuchen eine besonders stabile Pyramide doch in sich zusammenkracht, dreht Nils sich strahlend um: „Mama hat es geschafft!“ Seine Mutter wird, wenn es gut läuft, auch wenn Nils älter ist, noch wissen, was für Spiele es gibt, welche davon ihren Sohn interessieren und weshalb sie ihm vielleicht verbieten wird, bestimmte Spiele zu spielen.

Aber warum überhaupt Computerspiele? Neben den Kritikern, die als deren Folge vor allem die Vernachlässigung sozialer Kontakte und Rückbildung motorischer Fähigkeiten erkennen, gibt es diejenigen, die den Spielen positive Nebeneffekte bescheinigen. Etwa eine verbesserte Augen-Hand-Koordination, einen selbstsicheren Umgang mit neuen Medien sowie schlicht Kenntnisse über das Funktionieren von Computern, ohne die heute in den meisten Berufen nicht mehr viel geht.

Und: Die Spiele sind einfach da. Die beiden Zehnjährigen, Natalie und Silvia, tanzen mit der Wii-Fernbedienung zu Kate Perry’s „Firework“. Zwei Mädchen aus bürgerlichem Elternhaus, die demnächst das Gymnasium besuchen werden. Ein Facebook-Profil haben sie noch nicht, weil sie zu jung sind. Gechattet wird aber schon, und „natürlich“ spielen sie auch zu Hause. Und „natürlich“ wünscht sich Silvia eine Wii, so wie Natalie sie schon hat.

Wenn also gefordert wird, die Medienkompetenz der Kinder zu fördern, können die Eltern nicht außen vor bleiben. Davon ist Rosenberger überzeugt. Nur wenn sie mitreden können, sind sie in der Lage, ihren Kindern zu helfen, die Gefahren im Internet und in den Computerspielen zu erkennen und zu meiden. So haben gerade Online-Rollenspiele Suchtcharakter. Anders als ein Fantasy-Roman oder -Film hören sie nie auf, das Aussteigen kann unglaublich schwer werden. Zumal die Spielehersteller es darauf anlegten, sagt Rosenberger, einen Akteur möglichst lange zu halten und zu immer neuen Käufen zu verleiten. Trotzdem müssten hier andere Abmachungen getroffen werden als „nach einer Stunde ist Schluss“. Denn bei Rollen- oder Strategiespielen steckt die Figur möglicherweise gerade dann in einem entscheidenden Spielabschnitt, der noch nicht gespeichert werden kann. Dies zu verstehen erleichtert den Eltern das Aufstellen sinnvoller Regeln. Zudem freut es jedes Kind, wenn es merkt: Meine Eltern interessieren sich für das, was ich tue.

Und dann grinst Rosenberger noch einmal in die Frühlingssonne und sagt: „Wissen Sie, als das Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Buchdruck richtig losging, haben auch viele das Lesen verteufelt.“

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