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Politik: Mangelerscheinungen

Kassenärztliche Vereinigung warnt: Weil im Osten Ärzte fehlen, ist die ambulante Versorgung in Gefahr

Berlin - Die Kassenärzte haben vor einem dramatischen Ärztemangel in Ostdeutschland gewarnt. Damit die medizinische Versorgung flächendeckend garantiert werden könne, forderte der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Kassenärztlichen Vereinigungen der neuen Bundesländer, Hans-Joachim Helming, ein Sofortprogramm der Bundesregierung im Umfang von 700 Millionen Euro. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) lehnte dies ab. Statt zu lamentieren und neues Geld zu verlangen, müsste die Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen aktiv werden.

Vor allem bei den Hausärzten droht nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in den nächsten Jahren ein Engpass. Im Durchschnitt steigen Ärzte in den neuen Ländern mit 62,5 Jahren aus dem Beruf aus – eineinhalb Jahre früher als ihre Kollegen im Westen. Da das Durchschnittsalter über 50 Jahre liegt, werden in absehbarer Zeit viele ältere Ärzte ihre Zulassung zurückgeben – und nicht immer ist ein Nachfolger in Sicht. Es sei schwierig, junge Ärzte für ländliche Regionen zu gewinnen, wenn dort ganze Dörfer vergreisten, sagt der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler.

Um Nachwuchsmediziner aufs Land zu locken, richtet die KV Thüringen ab dem 1. Oktober in der Stadt Ohrdruf eine komplette Praxis ein, inklusive Personal. Der Arzt erhält für zwei Jahre ein Gehalt und kann danach entscheiden, ob er die Praxis übernimmt. Sachsen zahlt Zuschüsse von 60000 Euro, wenn ein Mediziner eine Praxis in einem unterversorgten Gebiet übernimmt. Bei der Gründung einer neuen Praxis gibt es nach Angaben von Gesundheitsministerin Helma Orosz (CDU) 30000 Euro Zuschuss. Dazu könne ein zinsloses Darlehen in gleicher Höhe kommen. Außerdem wirbt Sachsen Ärzte aus Österreich an.

Durch Anwerbung von osteuropäischen Ärzten lässt sich nach Ansicht der Kassenärzte die absehbare Lücke nicht schließen. Viele brächten nicht die sprachlichen Voraussetzungen mit, sagte der Vorsitzende der KV Brandenburg Helming. Außerdem fürchtet er, dass osteuropäische Ärzte möglicherweise nicht akzeptiert würden. Die ländliche Bevölkerung habe große Schwierigkeiten, etwa einen Rumänen als „Arzt des Vertrauens“ zu wählen, sagt Helming.

Wer im Osten eine Praxis eröffnet, dem sind die Verdienstmöglichkeiten wichtig. Aber auch die Arbeitsbedingungen und familienfreundliche Arbeitszeiten spielen eine wichtige Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt eine Hamburger Unternehmensberatung in einer Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums. Danach hat der Osten bei Medizinern im Westen auch mit seinem Image zu kämpfen. Mehr als ein Drittel der Studenten im Westen könne sich „auf gar keinen Fall“ vorstellen, sich im Osten niederzulassen. Etwa drei Viertel der Westärzte sind laut der Befragung gar nicht bereit, in den neuen Ländern zu arbeiten. Die Autoren der Studie empfehlen, diese Vorurteile zu bekämpfen, aber auch finanzielle Anreize für Mediziner zu schaffen.

Die Kassenärzte fordern, entweder die Mehrwertsteuer zu erhöhen oder die Ausgaben für die Krankenhäuser zu Gunsten der ambulanten Versorgung zu senken. Nach KBV-Angaben bearbeiten ostdeutsche Kassenärzte ein Drittel mehr Fälle als ihre Westkollegen, bekommen aber eine um ein Viertel geringere Vergütung. Das Gesundheitsministerium bezweifelt diese Zahlen jedoch: Ein Vertragsarzt im Osten habe 2003 im Durchschnitt mit 97,6 Prozent beinahe denselben Umsatz gemacht wie sein Kollege im Westen.

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