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Politik: Marktplatz der Reformen

Die Koalition diskutiert über Bürgerversicherung und längere Arbeitszeiten für Beamte – zu Gunsten der Gemeinden

Von Antje Sirleschtov

Der heiße Reformherbst 2003 hat noch nicht richtig begonnen, da prasseln schon die nächsten Reformbrocken auf die Koalition nieder. Allen voran aus der SPD. Denn in dieser Woche soll ein umfassender Leitantrag zum SPD-Parteitag im November fertig gestellt werden. Hauptthemen darin sind der mittelfristige Umbau der Krankenversicherung und die Entwicklung des Renten- und Pflegesystems.

Allein die darin enthaltenen Ideen, eine Bürgerversicherung für das Gesundheitswesen einzuführen und das Rentenalter ab 2035 heraufzusetzen, führten am Wochenende zu Auseinandersetzungen. Während der Plan der Arbeitsgruppe Sozialsysteme, der auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt angehört, von Fraktionschef Franz Müntefering im Grunde unterstützt wurde, gab es Widerstand etwa von der Gruppe der parlamentarischen Linken bei der Rentenalter-Erhöhung. In der SPD-Spitze hieß es darauf am Sonntag, die Vorschläge der Arbeitsgruppe seien Denkansätze. Nichts sei schon beschlossen.

Dies gelte auch für Pläne, die Erbschaftssteuer neu zu regeln und die Spekulationsfrist für den Verkauf von Wertpapieren völlig zu streichen. „Alles ist im Fluss“ hieß es in der SPD-Zentrale.

Bei der Pflegeversicherung, für deren Reform Ulla Schmidt noch in diesem Herbst einen Vorschlag vorlegen will, soll es offenbar nicht nur um einen Zusatzbeitrag für Rentner gehen. Schmidt erwägt auch, Kinderlose in Zukunft stärker als Familien in die Finanzierung des Pflegesystems einzubeziehen. Die SPD-Spitze bestätigte dies zwar nicht, schloss eine Diskussion darüber allerdings auch nicht aus.

Die Pläne der Grünen, bei der Reform der Krankenversicherung in Zukunft das Modell der Bürgerversicherung zu wählen, dabei allerdings den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren, stießen unter Sozialdemokraten auf Ablehnung. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering lehnte diesbezügliche Vorstellungen von Außenminister Joschka Fischer (Grüne) in einem Interview am Wochenende mit dem Hinweis ab, eine Deckelung würde das Kostenrisiko allein auf die Arbeitnehmerseite verlagern. Das wäre eine nicht akzeptable Aufkündigung der Parität.

Der grüne Abgeordnete und Staatssekretär Matthias Berninger überraschte in der „Welt am Sonntag“ mit der Ankündigung, die Grünen würden über ein Heraufsetzen der Arbeitszeit für Beamte des Bundes von 38,5 auf 40 Wochenstunden diskutieren. Berninger errechnete ein Einsparvolumen von rund einer halben Milliarde Euro für den Bund und empfahl, diese Summe den Kommunen zur Verfügung zu stellen. In der grünen Fraktionsspitze hieß es, in der Sache stünde Berninger bei den Grünen mit dieser Idee nicht allein. Es sei allerdings nicht damit zu rechnen, dass man sich kurzfristig mit diesem Thema befasse. Als Grund wurde die Überlastung des Parlaments mit den bereits laufenden Gesetzesvorhaben genannt.

Zu weiteren Einschnitten bei Beamten, neuen Subventionskürzungen oder Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf nicht lebenswichtige Güter sagte ein Sprecher des Finanzministeriums am Sonntag, man halte sich derzeit mit konkreten Vorschlägen zurück. Mit Spannung erwarte der Finanzminister zuerst die Vorschläge der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück zum Subventionsabbau.

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