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Markus Kaim, Sicherheitsexperte: "An mehr Truppen geht kein Weg vorbei"

Markus Kaim von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik über Afghanistan, die Taliban und den Bürgerkrieg.

Von Michael Schmidt

Herr Kaim, gibt es gemäßigte Taliban?



Die Erfahrung lehrt uns, dass Bürgerkriege dauerhaft nur beendet werden können, wenn es gelingt, die kämpfenden Parteien ins politische System zu integrieren. Wenn wir in drei bis fünf Jahren unsere Truppen aus Afghanistan abziehen und eine selbsttragende Sicherheit haben wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, die Taliban einzubinden.

Lassen sich die Gemäßigten von den Nichtgemäßigten überhaupt unterscheiden?

Das ist das Problem: Es ist eine Fiktion zu glauben, wir könnten uns die Guten aussuchen, um mit denen zu verhandeln. Die „Bösen“ sind so mächtig, dass man moralisch Kompromisse machen muss. Das betrifft die Taliban mit ihren Vorstellungen von Erziehung und Bildung von Mädchen zum Beispiel. Noch viel eklatanter aber ist das bei den Warlords, Leuten, die Blut an den Händen haben.

Gibt es rote Linien, die auf keinen Fall überschritten werden dürften?

Schwierig zu sagen. Wir müssen uns angewöhnen, an vielen Punkten die Afghanen selber bestimmen zu lassen. Ein Grundfehler des Einsatzes bisher war es, unsere Ordnungsvorstellungen an den Hindukusch exportieren zu wollen. Das ist im Desaster geendet. Wir müssen uns damit begnügen, bestimmte Mindeststandards, zum Beispiel einer guten Regierungsführung, durchzusetzen.

Kündigt sich jetzt ein Strategiewandel an?

Da wäre ich vorsichtig. Was die deutsche Politik im Moment charakterisiert, ist eine gewisse Ratlosigkeit. Wir sehen, dass trotz erhöhten Engagements die Resultate bescheiden sind: Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert, die Wahlen waren von Manipulationen überschattet.

Was ist überhaupt noch zu erreichen?

Es hat eine gewisse Nüchternheit Einzug gehalten. Deshalb sind, was vor zwei Jahren noch zurückgewiesen wurde – Gespräche mit Taliban – heute eher denkbar als ein Instrument, Afghanistan erst einmal zu befrieden und dann zumindest militärisch verlassen zu können.

Was wäre politisch das am dringendsten Gebotene, um bald abziehen zu können?


In der Vergangenheit wurden zwei Fehler gemacht. Wir haben uns verzettelt und zu viele Dinge gleichzeitig gewollt. Und wir haben geglaubt, die Aufgabe sei in verhältnismäßig kurzer Zeit mit überschaubaren Mitteln zu bewältigen.

Was muss jetzt passieren?


Wir müssen zurück zum UN-Mandat und Sicherheit im gesamten Land gewährleisten, um den zivilen Wiederaufbau gewährleisten zu können.

Das heißt, auf die militärische Komponente kann nicht verzichtet werden?

An einer Erhöhung der Truppenstärke geht angesichts der begrenzten Zeit in Afghanistan und der sich verschlechternden Sicherheitslage kein Weg vorbei.

Bisher haben Kanzlerin und Außenminister wenig Sympathie dafür erkennen lassen – und die SPD wandelt sich in der Opposition gerade zur Friedenspartei...

Wenn wir die Mission Afghanistan so ernst nehmen, wie die Politik dauernd behauptet, geht es nicht anders. Wenn wir sehen, dass die Erfolge bisher ausgeblieben sind, dann müssen diejenigen, die sagen, wir brauchen Ausbilder statt Kampftruppen, eine Antwort darauf geben, wie sie damit umgehen wollen, dass bereits heute weite Teile Afghanistans für westliche Wiederaufbaubemühungen nicht zugänglich sind. Ich sehe diese Antwort nicht.

Markus Kaim ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Das Gespräch führte Michael Schmidt.

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