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Eine muslimische Frau trauert an den Särgen.

© dpa

Massaker von Srebrenica: Die Wunde Bosniens ist noch nicht verheilt

Am Sonntag jährt sich der Völkermord in Srebrenica zum 15. Mal. An diesem Tag werden 775 Opfer bestattet. Und Serbengeneral Ratko Mladic ist weiter auf freiem Fuß.

Von Caroline Fetscher

Seit Donnerstag ist eine Prozession von 775 Särgen in Bosnien unterwegs gewesen. Begleitet von den Teilnehmern eines Gedenkmarsches brachten Lasttransporter die sterblichen Überreste der Ermordeten aus Srebrenica über Sarajevo zur Gedenkstätte Potocari, wo sie am heutigen Sonntag zeremoniell bestattet werden. Vom Wegrand aus warfen weinende Menschen Blumen auf den Trauerzug. Es kam zu erschütternden Szenen. Vier ihrer Brüder seien unter den Toten, hatte eine Frau gerufen, die beim Anblick der Särge zusammenbrach.

Zum 15. Jahrestag der Massaker von Srebrenica werden in diesem Sommer mehr Opfer bestattet als in den Jahren zuvor. Immer mehr der Toten aus den Massengräbern vom Sommer 1995 können mithilfe von DNA-Tests identifiziert werden. Exhumiert wurden bisher Überreste von 8372 Toten, von diesen erhielten bis jetzt 6557 durch die Forensiker in der bosnischen Kleinstadt Tuzla ihre Namen zurück. Auf allen Kontinenten haben Hinterbliebene DNA-Proben abgegeben, um den Abgleich mit den Exhumierten zu ermöglichen, die in Kühlhäusern in Tuzla liegen.

Während des Bosnien-Krieges war Srebrenica, ehemals ein Ort mit Silbermine und einem Anteil deutscher Zuwanderer, 1993 zur Schutzzone der Vereinten Nationen erklärt worden. Ein Bataillon von 450 niederländischen Blauhelm-Soldaten sollte die Sicherheit der Bevölkerung garantieren. Das Städtchen in Ostbosnien, hatte 1990, vor dem Zerfalls- und Bürgerkrieg, etwa 6000 Einwohner. Als er zur „Schutzzone“ wurde, suchten hier mehr als 40 000 Zivilisten Zuflucht. Die Lage in dem ausgehungerten Ort bezeichnete ein UN-Beobachter schon 1994 als „Völkermord in Zeitlupe“.

De facto hatte man ein Sammellager eingerichtet, das die „ethnische Säuberung“ durch serbische Truppen nur noch einfacher machte. Mitte Juli 1995 überrannten Serben den Ort. Vor den Augen der Blauhelmsoldaten begann die systematische Aussonderung der Jungen und Männer. Sie wurden auf Felder, in Scheunen, Schulbauten außerhalb des Ortes verschleppt. Nach Massenerschießungen verscharrte man sie. Kurz vor dem Abkommen von Dayton, im September 1995, hoben die Täter in Nacht- und Nebelaktionen neue Massengräber aus, am Den Haager Tribunal für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien (ICTY) „Sekundärgräber“ genannt. Mit Bulldozern holte man die Leichen aus den Primärgräbern und vergrub sie an weiter entfernten Orten erneut, um das Verbrechen zu vertuschen. Diese Umstände erschweren den Ermittlern vom ICTY wie den Forensikern in Tuzla die Arbeit. Dennoch gehört der Genozid von Srebrenica inzwischen zu den am besten dokumentierten Kriegsverbrechen während der jugoslawischen Zerfallskriege. Srebrenica wurde auch zum Synonym für die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft, der es an politischem Willen fehlte, einzugreifen.

Vom alten Srebrenica existiert heute nur noch wenig. Der Ort verzeichnet die geringste Rückkehrerquote von ganz Bosnien und Herzegowina. Jedes Jahr reisen Tausende zum 11. Juli an, wenn an der Gedenkstätte Potocari die identifizierten Opfer ihre letzte Ruhestätte erhalten. Die meisten ehemaligen Bewohner des Ortes leben als Binnenflüchtlinge in Bosnien, viele auch in der Europäischen Union oder den USA. Entschädigungen für die Opfer sind bisher weder durch die Vereinten Nationen noch durch die niederländische Regierung gezahlt worden. Axel Hagedorn, Anwalt in Amsterdam, dessen Kanzlei 6000 der Hinterbliebenen vertritt, hat auf seine Schreiben an die UN-Zentrale in New York keine Antwort erhalten: „Nicht einmal eine Empfangsbestätigung.“

Manche Täter, wie der ehemalige General der bosnischen Serben, Radislav Krstic, mussten sich inzwischen vor dem Haager Tribunal verantworten. Vor Gericht steht derzeit in Den Haag der ehemalige Präsident der bosnischen Serben Radovan Karadzic. Auf freiem Fuß ist weiterhin der Hauptverdächtige: Ex-General Ratko Mladic. Als er im Juli 1995 in Srebrenica einmarschiert war, hatte er vor laufenden Kameras verkündet: „Am Vorabend eines (…) großen serbischen Festtags geben wir diese Stadt dem serbischen Volk als Geschenk; der Zeitpunkt ist endlich gekommen, (…) dass wir uns an den Türken in dieser Region rächen.“ Unter osmanischer Herrschaft zum Islam konvertierte Bosnier wurden von serbischen Nationalisten oft als „Türken“ bezeichnet. Ratko Mladic soll sich in Serbien versteckt halten, wo einflussreiche Kreise seine Überstellung an das Tribunal bis heute verhindern. Seine Verhaftung ist eine Kernforderung der Organisation „Mütter von Srebrenica“.

Marieluise Beck, Vorsitzende der Parlamentariergruppe Bosnien und Herzegowina im Deutschen Bundestag, die heute als Vertreterin des Bundestags an der Gedenkfeier in Srebrenica teilnimmt, hält, wie die meisten westlichen Politiker, die Festnahme Mladics für unverzichtbar. „An diesem Schritt führt für Serbien kein Weg vorbei, wenn es Mitglied der Wertegemeinschaft der EU werden will“, sagte Beck am Freitag in Berlin. Außenminister Guido Westerwelle forderte zum Jahrestag ebenfalls seine Verhaftung.

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