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Politik: Mehr Arbeit ins Leben

WELCHE RENTE IST SICHER?

Von Gerd Appenzeller

Wer 20 ist, sieht es so: Entweder es ändert sich, oder ich wandere aus. Für den 60Jährigen stellt es sich so dar: Entweder es bleibt, wie’s ist, oder ich wähl’ euch nicht mehr. Mittendrin sind die 40-Jährigen: zu alt zum Auswandern, zu wenig zum Wahlboykott, am Ende die Leidtragenden. Wir reden von der Rente.

Die Zahlen verdeutlichen auch, warum alle Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte sich vor der Wahrheit drücken. Die Wahrheit ist: Wer das bestehende Rentensystem als sicher erklärt, redet den Rentnern, und denen, die es bald sein werden, nach dem Mund, aber er jagt einem Hirngespinst nach. Und vielen Rentnern, wer wollte es ihnen verargen, gefällt dieses Hirngespinst. Weil heute 19 der 60 Millionen wahlberechtigten Deutschen über 60 und damit weitgehend Rentenempfänger sind, wagt keine Partei, dies wirklich auszusprechen. Wer vergrault schon ein Drittel der Wählerschaft? Dabei wäre es leicht, ehrlich zu sein. Leicht, weil niemand im klassischen Sinne „schuld“ daran ist, dass das System nicht mehr funktioniert. Weder haben die Jüngeren die Älteren betrogen, noch wollen die Älteren auf dem Rücken der Jüngeren Rock ’n Roll tanzen. Ja, Rock ’n Roll, nicht Walzer. Die jetzt an die Rente denken, sind aus der Elvis-Generation.

Generation. Das ist das Stichwort. Das deutsche Rentensystem basiert auf dem Generationenvertrag. Was die Jüngeren, die Arbeitenden, einzahlen, wird den Älteren, den Ruheständlern, ausgezahlt. Wenn die Menschen viele Kinder haben und viel Arbeit da ist, wie in den Nachkriegsjahren, klappt das gut. Das System des Ein- und Auszahlens kommuniziert ziemlich eins zu eins. Deshalb ist es so empfindlich. Wenn unten immer weniger eingezahlt, oben aber immer mehr abgehoben wird, kollabiert es. Im Moment unterhalten sieben Beitragszahler drei Rentner. Das reicht nicht. Der Bund gleicht durch Steuerzuschüsse aus. Sie machen 30 Prozent aller Einnahmen aus.

Der Generationenvertrag funktioniert offensichtlich nicht mehr. Seine Funktionsfähigkeit kann man weder einklagen noch erzwingen. Da lügen wir uns etwas vor. Die heute 50- bis 60-Jährigen haben diesen Vertrag schon lange auf ihre Weise gekündigt, als sie die modernen Methoden der Schwangerschaftsverhütung nutzten und nur noch zwei Kinder in jeder Familie aufwuchsen, und nicht mehr vier oder fünf wie zur Zeit der Groß- und Urgroßeltern. Und Arbeit ist auch nicht mehr genug da. Daran kann sich etwas ändern, hoffentlich bald. Aber mehr Kinder werden die Deutschen auch in Zukunft nicht haben, das ist ziemlich sicher. Unsere Gesellschaft hat sich verändert, das Rentensystem ist geblieben. Das passt nicht zusammen.

Kluge Leute, wie Arbeitgeberpräsident Hundt oder Ludwig Georg Braun vom Industrie- und Handelskammertag, sagen uns nun, wir sollten länger als bis 65 oder gar bis 67 arbeiten. Das könnte das System sanieren. Richtig. Länger arbeiten heißt länger Beiträge zahlen und später Rente beziehen. Nur: Das Durchschnittsalter bei Rentenbeginn liegt heute bei 60, nicht beim gesetzlichen Rentenalter von 65. Das wollten alle so. Den Frührentnern gefällt es, die Firmen besetzen die freiwerdenden Plätze – in der Theorie – mit Jüngeren, und die leisten auch mehr.

Irgendwas passt da aber nicht zwischen Theorie und Praxis. Wir brauchen bei allen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, einen Mentalitätswandel. Man kann in den meisten Berufen bis 65 arbeiten. Es soll Menschen geben, die daran sogar Freude haben. Urlaub gibt es genug. Und vielleicht bekommt es am Ende der Gesellschaft, wenn sich mehr zugehörig und nicht vorzeitig abgeschoben fühlen. Um ein neues Rentensystem freilich kommen wir auch dann nicht herum.

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