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In weißen Blusen gedenken SPD-Parlamentarierinnen der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Geschlechtergerechtigkeit: Mehr Chancengleichheit statt verordneter Zwang

Es ist gut, wenn mehr Frauen in Parlamenten sitzen. Das Wahlrecht darf aber keine Reparaturhilfe für gesellschaftliche Ungleichheiten sein. Ein Gastkommentar.

Es ist ein Fortschritt, dass in der aktuellen Diskussion über Paritégesetze langsam auch verfassungsrechtliche Fragen in den Blick genommen werden. Nachdem sich die brandenburgische Koalition bei ihrer jüngsten Änderung des Wahlrechts über alle juristischen Bedenken hinweggesetzt hat, konnten wir auch aus dem sozialdemokratisch geführten Bundesjustizministerium irritierende Signale vernehmen. Es schien, als müsste dem Ziel einer parlamentarischen Gleichberechtigung sogar das Grundgesetz untergeordnet werden dürfen.

Vor diesem Hintergrund war die Initiative von Frau Professor Brosius-Gersdorf einer Wahlkreis-Tandemlösung mit „geschlechtlicher Entscheidungsfreiheit“, die sie an dieser Stelle vorbrachte, erkennbar fundierter. Verfassungskonform ist sie damit aber nicht.

Dass der Gesetzgeber durchs Wahlrecht keine Ergebnisgleichheit schaffen darf, liegt in einem freien Land zwar auf der Hand, muss man allerdings traurigerweise betonen. Frau Professor Brosius-Gersdorf machte gleichwohl andere Gründe dafür verantwortlich, dass Frauen in Parlamenten unterrepräsentiert sind: Männerbünde, männlich geprägte Karrieremuster oder auch Vorbehalte gegenüber der Eignung von Frauen in den Parteien. Vergleichen wir jedoch zum Beispiel das Geschlechterverhältnis bei den Parteien und bei den derzeitigen Bundestagsfraktionen, so ist auffällig, dass Frauen im Parlament insgesamt besser als in den Parteien repräsentiert werden.

Zu wenige Frauen melden sich freiwillig

Lediglich bei der Unions- und AfD-Fraktion ist eine leichte Unterrepräsentanz zu finden. Das bedeutet, dass der innerparteiliche Auswahlprozess in der Regel eher nicht auf Männerbünde oder Vorbehalte gegenüber Frauen hinweist. Vielmehr ist dies ein Indiz dafür, dass sich in den Parteien noch immer zu wenige Frauen freiwillig organisieren. Das können wir gesetzlich aber nicht ändern.

Die nun von Frau Professor Brosius-Gersdorf ins Spiel gebrachte Tandemlösung mit der Wahlfreiheit zwischen einem Mann und einer Frau bei der Erststimme würde dieses Problem freilich nicht lösen. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass diese Idee irgendwann tatsächlich umgesetzt wird. Denn sie ignoriert, dass es verfassungsrechtlich zulässig bleiben muss, mit einer reinen Frauen- oder Männerpartei bei der Wahl anzutreten. Ein gesetzlicher Eingriff, der die Tendenzfreiheit der Parteien so massiv berührt, wäre in einer freiheitlichen Demokratie klar unzulässig.

Zudem vernachlässigt diese Idee das dritte Geschlecht, das seit kurzem im Geburtenregister eingetragen werden kann. Die vom Landtag Brandenburg gefundene Lösung, dass sich diese Personen frei entscheiden können, auf welchem Platz sie antreten wollen, hätte in jedem Fall eine diskriminierende Wirkung. Denn weder Männer noch Frauen haben die Freiheit, sich für einen Platz ihrer Wahl zu entscheiden. Damit hätte man eine angenommene strukturelle Benachteiligung mit einer tatsächlichen strukturellen Benachteiligung „geheilt“.

Geschlechtliche Identität müsste preisgegeben werden

Bisher wird von Kandidaten, die zu einer Wahl antreten, nicht verlangt, dass sie ihr Geschlecht offenbaren. Dies müsste aber zwangsläufig geschehen, sollten Tandemlisten eingeführt werden. Wer aus persönlichen Gründen seine geschlechtliche Identität nicht preisgeben möchte, könnte folglich nicht zur Wahl antreten, weil die gesetzlich geforderte Ein- bzw. Zuordnung nicht möglich ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies ein gewünschtes Ergebnis der Parité-Befürworter ist.

Es ist ein richtiges Ziel, dass sich mehr Frauen in Parlamenten und in den Parteien für unser Gemeinwesen einsetzen. Ich wünsche es mir auch. Ich habe allerdings erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an den im Raum stehenden Vorschlägen, die auf einen gesetzlichen Zwang hinauslaufen.

In einer freiheitlichen Demokratie ist es notwendig, die Zugangsvoraussetzungen für alle gleich zu gestalten, also Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit herzustellen. Das Wahlrecht als Reparaturhilfe für eventuelle gesellschaftliche Ungleichheiten zu benutzen, zerstört die Wahlfreiheit ohne jede Notwendigkeit. Wir wollen doch auch nicht verhindern, dass mehr Frauen als Männer in den Parlamenten sitzen können.

Wolfgang Kubicki

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