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Eine Mitarbeiterin von Biontech steht im Labor des Unternehmens.

© Stefan Albrecht/Biontech/dpa

„Mehr Geld hätte uns nicht geholfen“: Biontech verteidigt EU-Kommission gegen Kritik von Scholz

Der Geschäftsführer des Impfstoff-Herstellers kann sich vorstellen, dass eine dritte Dosis nötig wird. Auch deshalb fordert er jetzt staatliche Unterstützung.

Der Geschäftsführer des deutschen Impfstoff-Herstellers Biontech, hat die vielfach aufgrund des langsamen Impf-Fortschritts kritisierte Führung der Europäischen Union (EU) verteidigt.

„Im vergangenen Jahr hätte uns mehr Geld nicht geholfen, weil wir den Produktionsprozess im großen Maßstab erst sicher aufstellen mussten“, sagte Sierck Poetting im „Spiegel“. „Die 50 Millionen Dosen, die wir 2020 produziert haben, waren das, was maximal möglich war. Auch mit Milliarden Euro und Tausenden zusätzlichen Mitarbeitern wäre es nicht mehr geworden.“

Damit widerspricht Poetting auch einem erneuten Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der seine Kritik an der Impfstoff-Beschaffung der EU gegenüber des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) erneut bekräftigt hatte. „Alles, was wir heute wissen, kann man nur so zusammenfassen: Es hätte mehr Impfstoff bestellt werden können und müssen. Das ist unterblieben. Das sollte niemand beschönigen“, so Scholz.

In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ wies EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) den Vorwurf auch nochmals höchstpersönlich zurück. Es führe in die Irre anzunehmen, ein früherer Vertragsabschluss hätte zu einer schnelleren Lieferung geführt, so von der Leyen. Vielmehr liege der Engpass jetzt an komplexen Herstellungsprozessen und einem Mangel an wichtigen Inhaltsstoffen.

Auch sagte von der Leyen, es seien doch in Deutschland immerhin schon fast drei Millionen Impfstoffdosen verabreicht worden: „Das ist noch lange nicht genug. Aber es ist auch keine ganz kleine Zahl.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten die EU im Impfstreit verteidigt.

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Jetzt aber würde Geld helfen, so Biontech-Geschäftsführer Poetting. „Erst recht, wenn wir für nächstes Jahr eine Kapazität von drei Milliarden Dosen antizipieren sollen, wie es diese Woche bereits angefragt wurde.“ Die EU und auch der deutsche Staat könnten sich beispielsweise mit Geld direkt am Aufbau von Fabriken beteiligen oder auch Rohstoffe vorfinanzieren.

Bundesfinanzminister Scholz ist offen für eine solche Finanzspritze. „Ich spreche mit Unternehmen und frage: Gibt es eine Stelle, wo wir mit öffentlichen Mitteln privatwirtschaftliche Entscheidungen erleichtern können?“, sagte Scholz dem RND. „Wenn eine Firma (...) Sorge hat, soll sie das klipp und klar sagen und wir lösen das Problem. Am Geld wird die schnellere Beschaffung von Impfstoff jedenfalls nicht scheitern.“

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Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußert sich zuversichtlich. „Biontech hat auf dem Impfgipfel einen möglichen Finanzbedarf von bis zu 400 Millionen Euro für die Reservierung von Kapazitäten und Rohstoffen bis in das nächste Jahr hinein dargelegt. Wir sind im Austausch mit dem Unternehmen, um dies weiter zu konkretisieren“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Von der Leyen hatte in den vergangenen Tagen bereits angesichts der Lieferengpässe für die Bereitstellung weiterer EU-Mittel geworben. Poetting sagte dem Magazin dazu: „Den Vorschlag müsste man prüfen. Er könnte idealerweise dazu führen, dass mittelfristig Kapazitäten erhöht werden könnten.“

Unabhängig davon dürfte ein europäisches Zuliefernetzwerk bei der Impfstoffproduktion unabdingbar werden, so Poetting – weil es dauerhaft nicht nur mit dem US-Partner Pfizer geht. Wir haben Pfizer als strategischen Partner dazugenommen, weil wir wussten, dass wir es am Anfang nicht allein schaffen“, so Poetting. Allerding habe man von Anfang an damit gerechnet, dass es mit den USA schwierig werden könnte, mit oder ohne Trump, wenn es zu Abschottungen kommt.

Ist wegen der Mutanten ein neuer Zulassungsprozess nötig?

„Es gibt eine Executive Order von Donald Trump , die Joe Biden aufrechterhalten hat. Sie sagt im Wesentlichen, dass der Impfstoff im Land bleibt“, so Poetting. „Also haben wir gesagt: Wir müssen auch woanders bestellen, bauen und herstellen.“

Inzwischen habe Biontech deshalb ein Netzwerk mit 13 Produktionspartnern hochgezogen, mit Marburg als großer Produktionsstätte im Zentrum. „Das könnten wir weiter ausbauen zu einem europäischen Netzwerk.“

Dieses Netzwerk dürfte allein schon deshalb nötig werden, weil sich abzeichnet, dass der Impfstoffbedarf im kommenden Jahr noch zunehmen wird. „Es gibt unterversorgte Länder, es könnte eine dritte Impfdosis gegen mutierte Varianten des Virus notwendig werden, oder es könnten sich ganz neue Mutationen entwickeln“, sagte Poetting sem „Spiegel“.

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Darauf wies auch von der Leyen in ihrem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hin. Für das Szenario, dass die derzeitigen Impfstoff nicht gegen das Virus hilft, arbeite die EU schon jetzt eng mit Wissenschaft und Industrie zusammen, um rasch Impfstoffe gegen künftige Corona-Varianten entwickeln, zulassen und herstellen zu können.

Auch die Bundesregierung spreche schon mit den Impfstoff-Herstellern darüber. „Wir wollen für den Fall problematischer Mutationen oder notwendiger Auffrisch-Impfungen auch für 2022 ausreichend Kapazität für Deutschland, Europa und die Welt sichern“, so Spahn.

Was passiert, wenn der Impfstoff wegen Mutationen verändert werden müsse, sei noch nicht ganz klar und abhängig von den Regulierungsbehörden, so Biontech-Geschäftsführer Poetting.

Demnach sei es auch möglich, dass es einen ganz neuen Zulassungsprozess braucht, der über Monate geht und erneut für Knappheit sorgt. „Gut möglich, dass man eine kleine klinische Studie machen muss, um die Sicherheit nachzuweisen. Es kann aber auch sein, dass der Impfstoff wie beim Grippe-Vakzin ohne Studien angepasst werden kann.“ (mit dpa)

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