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Politik: Mehr Respekt, neue Kraft

Von Alfons Frese

Sie kommen alle. Bundespräsident, Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende geben sich in der kommenden Woche die Ehre vor dem Parlament der Arbeit. So nennt man beim DGB den alle vier Jahre stattfindenden Gewerkschaftskongress. Der Bundespräsident macht an diesem Montag den Anfang. Es ist der erste Auftritt Horst Köhlers auf einem DGB-Kongress, und die Erwartungen sind groß. Vor gut einem Jahr hatte Köhler auf der anderen Seite, bei den Arbeitgebern, die Gewerkschaften zur Lohnzurückhaltung aufgefordert und für die hohe Arbeitslosigkeit mitverantwortlich gemacht. IG Metall-Chef Jürgen Peters ärgerte sich damals über eine „Ansammlung wirtschaftsliberaler Glaubenssätze“. Heute werden eher Hinweise des Staatsoberhauptes auf das Ansehen der Arbeitnehmer und auf die Stellung der Gewerkschaften im Land erwartet – in einem ganz anderen Ton.

Ausgerechnet eine von Sozialdemokraten dominierte Bundesregierung hatte den DGB und seine acht Einzelgewerkschaften in die Orientierungslosigkeit gestoßen. Erst platzte im Frühjahr 2003 das Bündnis für Arbeit und damit der vorerst letzte Versuch einer mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgestimmten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Verdi-Mitglied Gerhard Schröder machte Schluss mit Konsens und zog die Agenda 2010 durch, unbeeindruckt von Wahlniederlagen und Montagsdemonstrationen. In den Anfangsjahren von Rot-Grün war das anders gelaufen. Da nahm Klaus Zwickel per nächtlichem Anruf bei Walter Riester noch Einfluss auf die so genannte Riester-Rente.

In der zweiten Wahlperiode Schröders waren die Gewerkschafter Zuschauer. Bis heute steckt ihnen Hartz IV in den Knochen. Und noch immer haben sie keine überzeugende und vor allem auch keine einheitliche Vorstellung davon, wie das deutsche Sozialsystem mit Globalisierung und Demografie zusammenpasst. Mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer und höheren Erbschaftssteuern, beides Lieblingsthemen auf Gewerkschaftskongressen, kommen die Arbeiterfunktionäre jedenfalls nicht weit.

Das Kerngeschäft der Gewerkschaften ist die Tarifpolitik. Doch auch auf diesem Feld stehen sie noch immer in der Defensive. Die von der IG Metall erreichte jüngste Tariferhöhung um drei Prozent ist ziemlich einmalig und erklärt sich allein mit der starken Konjunktur in der Metallindustrie und den hohen Gewinnen. Typischer für die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften insgesamt ist der monatelange Streik im öffentlichen Dienst. Ein purer Abwehrkampf von Verdi gegen die Erhöhung der Arbeitszeit. Und am Ende müssen doch alle länger arbeiten.

Die Zahl der Mitglieder macht die Stärke einer Gewerkschaft aus. Ein Blick in die Statistik gibt Aufschluss über den Kraftverlust. Seit 1991, dem grandiosen Vereinigungsjahr, sind fünf Millionen Mitglieder abhanden gekommen. Derzeit glauben noch 6,8 Millionen Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose, dass ihnen eine Gewerkschaft nutzt und den Monatsbeitrag wert ist. Immerhin hat sich das Tempo des Schwunds verlangsamt, und vor allem die IG Metall ist mit einer stärker auf die Betriebe und die Mitglieder bezogenen Politik durchaus erfolgreich. Bis dann die nächste Konjunkturschwäche in der Metallindustrie wieder Arbeitsplätze und Mitglieder kostet.

Nichts verdeutlicht besser den Zustand der Gewerkschaften als ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Da sie es nicht schaffen, für die Mehrzahl der abhängig Beschäftigten verbindliche Tarifverträge durchzusetzen, soll der Staat helfen. Ein Offenbarungseid. Aber wenn der Trend nach unten gestoppt werden soll – und inzwischen gibt es schon Stundenlöhne von drei Euro –, muss die Politik ran. Die ist durchaus aufgeschlossen. Bis zum Herbst will die große Koalition das Problem lösen, und im Kanzleramt sitzt ja jetzt auch jemand, der zuhört und zum Austausch bereit ist. Immerhin darüber können sich Jürgen Peters, Frank Bsirske und Michael Sommer freuen. Man ist bescheiden geworden.

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