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Menschenrechte: "Man will die Syrer nicht ärgern"

Syrien hat einen Menschenrechtler mit deutschem Pass verhaftet und will ihm jetzt den Prozess machen. Ismail Abdi ist kein Einzelfall. Anders als bei den beiden im Iran festgehaltenen Journalisten, setzt sich bisher kein Mitglied der Bundesregierung öffentlich für den Kieler Juristen ein.

Er wollte seine todkranke Mutter noch einmal sehen. Doch der Besuch in seinem Geburtsland Syrien endete in einem Alptraum. Als der Kieler Jurist Ismail Abdi in Aleppo die Maschine zurück nach Deutschland besteigen wollte, nahmen syrische Geheimpolizisten den 50-Jährigen vor den Augen seiner entsetzten Frau und seinen vier Kindern fest. Die Familie musste am 23. August ohne den Vater zurückfliegen, der seit 2006 neben der syrischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Trotzdem blieb deutschen Diplomaten in Damaskus der Kontakt zu dem Verhafteten "trotz aller Bemühungen" bisher verwehrt. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation KurdWatch sitzt Ismail Abdi im Adra-Gefängnis, 70 Kilometer von Damaskus entfernt. Ihm droht eine Anklage wegen "Falschaussagen im Ausland", einer der zahlreichen syrischen Gummiparagraphen, mit denen das Regime unliebsame Kritiker mundtot macht. Seit Jahren setzt sich Ismail Abdi, der an Asthma leidet, für Menschenrechte und Demokratie in Syrien ein. Vor Monaten veröffentlichte er im Internet eine Namensliste von 600 Verschwundenen und gefolterten Menschen - offenbar der Grund für seine Verhaftung. In den Verhören wurde er mit E-Mails konfrontiert, die er von Deutschland aus nach Syrien geschickt hatte.

Seine Familie in Kiel befürchtet eine lange Gefängnisstrafe und wünscht sich vom Auswärtigen Amt mehr öffentlichen Druck. Mitschüler der Kinder charterten einen Bus und demonstrierten vor der syrischen Botschaft in Berlin. KurdWatch kreidet den deutschen Behörden an, mit zweierlei Maß zu messen. Als kürzlich zwei deutsche Journalisten im Iran festgenommen worden seien, hätten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle sofort öffentlich ihre Freilassung gefordert, erklärt der Sprecher der Menschenrechtsorganisation, Siamend Hajo. Bei Abdi dagegen, der zunächst sechs Wochen lang spurlos verschwunden war, schweige Berlin aus politischer Opportunität. "Man will die Syrer nicht ärgern, sie nicht öffentlich bloßstellen, weil man sie aus der Achse mit dem Iran herauslösen möchte", vermutet Hajo.

Diese Doppelbödigkeit des Westens spielt dem Regime in Damaskus in die Hände. Zwar ließ Präsident Bashar al-Assad in den letzten Jahren ausländische Banken und Investoren herein, erlaubte private Universitäten und förderte privaten Wohnungsbau, ohne jedoch sein Land politisch zu öffnen. Der Geheimdienst ist nach wie vor allgegenwärtig. Jede Kritik an dem Regime wird erbarmungslos verfolgt und drastisch bestraft. Das Internet ist zensiert, eine freie Presse existiert ebenso wenig wie eine aktive Zivilgesellschaft. Politische Diskussionen sind tabu, öffentliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen oder der weit verbreiteten Korruption führen direkt ins Gefängnis.

Und so ist das Schicksal des Deutsch-Syrers Ismail Abdi keineswegs ein Einzelfall. Dutzende Oppositionelle sitzen hinter Gittern, der älteste feierte kürzlich in der Zelle seinen 80. Geburtstag. Im Sommer verurteilte ein Militärgericht Haytham al-Maleh zu drei Jahren Haft. "Syrien wird regiert durch Befehle, niemand ist vor Gewalt durch den Staat und seine Sicherheitskräfte geschützt", hatte der alte Mann in einem Telefoninterview mit einem Fernsehsender in Europa beklagt. Den Regierenden warf er vor, die öffentlichen Gelder zu verschleudern und dem Volk jede Rechenschaft zu verweigern. Zwei Tage später wurde der Gründer der syrischen Menschenrechtsvereinigung von Geheimpolizisten abgeholt und anschließend wegen "Verbreitung von Lügen", "Schwächung des Nationalgefühls" und "Schmähung des Präsidenten" angeklagt.

Anders als in Europa, wächst im Washington inzwischen die Überzeugung, die nachsichtige Linie seit Barack Obamas Amtsantritt habe falsche Signale an Damaskus geschickt. Syriens Unterstützung der Hisbollah gegen das Hariri-Tribunal, seine dubiose Rolle gegenüber Nachbar Irak, seine Blockadehaltung gegenüber den Atominspektoren der IAEO sowie seine Rolle als Schutzpatron für die Exilführung der Hamas - die Liste der Kritikpunkte wird länger statt kürzer. So blockiert der Senat weiter die Ernennung des neuen amerikanischen US-Botschafters für Damaskus, Robert Ford, der die fünfjährige Vakanz auf dem Spitzenposten beenden soll. "Syrien vermittelt ein falsches Bild von Öffnung", bekannte kürzlich ein früherer Dissident gegenüber der "New York Times". Heute wüssten die Weltmedien zwar, wenn ein Oppositioneller eingesperrt werde. Dadurch entstehe der Eindruck, die Unterdrückung sei geringer geworden. "In Wirklichkeit aber ist sie genauso schlimm wie früher, wenn nicht sogar schlimmer".

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