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Abel Barrera, 50, gründete das Menschenrechtszentrum Tlachinollan.

© picture alliance / dpa

Menschenrechtspreisträger Barrera: "Der Staat hat abgedankt"

Der diesjährige AI-Menschenrechtspreisträger Abel Barrera über seinen Einsatz für Indigenas, den Drogenkrieg und die Mafia in Mexiko.

Abel Barrera, Sie haben 1994 das Menschenrechtszentrum „Tlachinollan“ gegründet. Sie selbst sind ein Mischling, was hat Sie dazu gebracht, sich für die Rechte der Indigenas einzusetzen?

Ich bin in Tlapa geboren, einem Ort in den Bergen von Guerrero, der seit dem 17 Jahrhundert von Mestizen beherrscht wird, denen es wirtschaftlich besser geht und die gegenüber den armen Indigenas eine verächtliche Haltung pflegen. Auch bei mir zuhause gab es indigene Angestellte, und meine Eltern wollten nicht, dass ich mit ihnen Umgang pflege. Weil ich spanisch konnte, war ich ihnen „überlegen“. Diese unsichtbare Grenze, die es mir verbot, mit den Indigenas zusammenzuleben, hat mich schon immer herausgefordert.

Was hat Sie schließlich zu dem Entschluss gebracht, dem Priesterdasein den Rücken zu kehren und sich für die Menschenrechte einzusetzen?

Es waren diese Bilder in meinem Kopf, von gefesselten Indigenas, aneinandergekettet wie Vieh, mit zerrissenen Kleidern. Wie sie von der Polizei misshandelt wurden und in Tlapa öffentlich als Diebe und Verbrecher zur Schau gestellt wurden. Ich sah ihre furchtsamen Blicke, wie sie am ganzen Körper zitterten. Ich war empört, wütend. Aber ich wusste nicht, was tun. Es begann dann mit einer Forschungsarbeit über die Haftbedingungen von Indigenas und endete dank der großen Unterstützung der Schauspielerin Ofelia Medina und ihrer Organisation mit der Gründung des Menschenrechtszentrums Tlachinollan.

Bis heute ist Guerrero einer der gewalttätigsten Bundesstaaten Mexikos, Hochburg einer der ältesten Guerillaorganisationen Mexikos, und es ist der Bundesstaat, wo Mohn zur Heroinproduktion angebaut wird. Sind das die Gründe für die Gewalt?

Es gibt noch mehr. Vor allem die Art und Weise, wie hier politische Macht ausgeübt wird. Schon immer nutzten die Herrschenden die Sicherheitskräfte und die öffentlichen Institutionen, um ihre Macht zu missbrauchen und zum eigenen Vorteil einzusetzen. Das liegt dem Ganzen zugrunde. Macht ist hier despotisch, es gibt keinen Rechtsstaat, die Forderungen der Bevölkerung werden nicht erfüllt. Es herrscht das Recht des Stärkeren. Die Streitkräfte sind seit den 70er Jahren präsent, damals unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung, und haben den Konflikt nur noch angeheizt. Mehr als 600 Menschen sind spurlos verschwunden. Jetzt bietet der Drogenkrieg einen neuen Vorwand für ihre Aktionen.

Der Drogenkrieg macht Ihre Arbeit nicht einfacher.

Ja, für uns ist es momentan gefährlicher denn je. Denn die Mafia hat die staatlichen Strukturen infiltriert, und wir haben nicht nur noch einen korrupten und despotischen Staat, sondern auch noch einen mit verbrecherischen Verflechtungen. Es gibt da eine schwer zu durchschauende Grauzone. Und der Staat macht es sich leicht und behauptet leichtfertig, wir würden die Mafia unterstützen, weil wir der Auffassung sind, dass die Streitkräfte zurück in die Kasernen beordert werden müssen.

Wie hat sich die Lage der Menschenrechte in Guerrero entwickelt?

Es ist schlimmer geworden. Niemand vertraut mehr in die Justiz, niemand erstattet auch nur Anzeige, denn die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass das Opfer bedroht wird, als dass es Konsequenzen für den Täter hat. Die Selbstjustiz greift um sich, und die Menschen versuchen, sich so gut es geht selbst zu schützen. Der Staat hat abgedankt.

Was bedeutet der Preis für Sie?

Er ist eine wichtige Anerkennung für alle, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Er ermöglicht es uns, auf die dramatische Lage in Guerrero aufmerksam zu machen. Und er ist eine weithin beachtete Anerkennung für einen historischen Kampf der Indigenas um Würde und Demokratie.

Abel Barrera, 50, gründete das Menschenrechtszentrum Tlachinollan. Am Donnerstag wurde er in Berlin mit dem AI-Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Mit ihm sprach Sandra Weiss.

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