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Politik: Merkel wildert bei den Genossen

CDU will mehr Gerechtigkeit – was das ist, soll bei einer Wertekonferenz in Berlin diskutiert werden

Die CDU will mit einem neuen Grundsatzprogramm ihr Profil in der großen Koalition schärfen. Es gebe gemeinsame Projekte mit der SPD, aber „die Identität der CDU geht darüber hinaus“, sagte CDU- Chefin Angela Merkel nach einer Klausurtagung des Bundesvorstands in Mainz. Trotz der zur Schau getragenen Harmonie der vergangenen Wochen will die CDU Themen besetzen, bei denen traditionell die SPD die Hoheit hat: Dazu gehört, Kinderarmut zu bekämpfen, sowie stärkere staatliche Fürsorge für Kinder aus sozial schwachen Familien. Eine Kommission „Bildungschancen und Erziehung“ unter Leitung von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll Auswege suchen. „Wir brauchen neue Gerechtigkeit durch Freiheit“, sagt Merkel.

Auch wenn Union und SPD im Bund gemeinsam regieren, bleiben die Sozialdemokraten Hauptgegner – nicht nur bei den drei bevorstehenden Landtagswahlen im März. Für die Bundestagswahlen hat die Union die Devise ausgegeben, wieder 40 Prozent plus x zu erreichen. Mit dem Absturz auf 35,2 Prozent 2005 hatte die Union schmerzlich erfahren müssen, dass sie einem Wahlkampf, der von der Auseinandersetzung über soziale Gerechtigkeit geprägt war, nicht genügend Wähler überzeugen konnte, um einen Regierungswechsel mit der FDP zu erreichen.

Als Kampfansage an den Koalitionspartner SPD will Merkel die neuen Akzente nicht verstanden wissen. Die „verlässliche und vertrauensvolle“ Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten stellt sie nicht in Frage. Aber von einer erfolgreichen Regierungsarbeit erhofft sie sich „Freiräume, um die Identität der eigenen Partei zu stärken“. Die Union kann derzeit die große Koalition entspannter betrachten als die SPD. In Umfragen, das bestätigte dem CDU-Vorstand Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, schlägt sich der „Kanzlerbonus“ nieder. Die Union profitiert bei den Wählern stärker von der großen Koalition als die SPD.

Was „neue Gerechtigkeit“ aus Sicht der CDU ist, soll nun definiert werden. Nach einem kleinen Parteitag im Februar gibt es in Berlin eine „Wertekonferenz“. Ende 2007 soll das neue Grundsatzprogramm auf einem Parteitag verabschiedet werden. Als Ausgangspunkt stellt CDU-Chefin Merkel die Frage: „Was ist im 21. Jahrhundert sozial?“ Bei manchem Vorstandsmitglied lösen die neuen Begriffe Schulterzucken aus. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) stellt vorsichtshalber klar, dass die CDU nicht eine neue Partei zwischen der alten CDU und der SPD sein werde. „Die Union hat keinen Anlass, völlig neu über ihr Profil nachzudenken.“

Merkel regte auch an, die Krankenversicherung stärker über Steuern finanzieren. Man müsse darüber nachdenken, die Beiträge für Kinder von der Allgemeinheit bezahlen zu lassen, sagte sie. Damit schlug sich die CDU-Chefin auf die Seite der Sozialpolitiker in der Union, die dies gegen den Widerstand der Finanzpolitiker fordern.

Wie die neuen Töne ankommen, testete Merkel am Freitagabend in Mainz, beim Wahlkampfauftakt der rheinland- pfälzischen CDU. Es sei „nicht in Ordnung“, dass so viele über 50 keine Chance mehr hätten, einen Arbeitsplatz zu finden, sagte die CDU-Chefin vor knapp 3000 CDU-Anhängern in der Rheingoldhalle. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) hätte das nicht anders formuliert. Merkel grenzte sich außerdem bewusst von den Liberalen ab. „Mehr Freiheit wagen“, das bedeute nicht, dass jeder sich nur um sich selbst kümmern müsse.

Bei den Landtagswahlen im März will die CDU keine Rücksicht auf die SPD nehmen. Bei allen anstehenden Wahlen wolle die CDU „als stärkste Partei hervorgehen“, heißt es im Mainzer Beschluss des Vorstands. Sorgenkind ist der rheinland- pfälzische Landeschef Christoph Böhr, der Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) den Posten streitig machen will. Dass es ihm das gelingt, daran gibt es auch in der CDU-Spitze Zweifel. Böhr selbst verspricht sich vom Auftritt der Kanzlerin in Mainz „wahnsinnigen Rückenwind“.

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