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Politik: Mieter müssen draußen bleiben

Warum Arbeitslose im sächsischen Löbau einzelne Zimmer ihrer Wohnung nicht betreten dürfen

Die Regler der Heizung sind auf Frostschutz heruntergedreht, das Mobiliar ausgeräumt, die Türen verschlossen: In der ostsächsischen Kleinstadt Löbau dürfen zahlreiche Mieter bestimmte Zimmer in ihren Wohnungen nicht mehr betreten. Betroffen sind Arbeitslosengeld-II-Empfänger, denen nur eine bestimmte Wohnungsgröße zusteht.

Betty Kahlert lebte bislang mit ihren beiden Söhnen auf 81 Quadratmetern in einer Plattenbauwohnung im Stadtteil Löbau-Ost. Im vorigen Jahr wurde die alleinerziehende Lehrerin für Russisch und Kunst dann plötzlich arbeitslos. Seither ist sie angewiesen auf staatliche Unterstützung. Seit ein paar Wochen darf sie nicht mehr in ihr altes Arbeitszimmer. „Das ist verschlossen“, sagt sie. Die 49-Jährige sah keine Alternative. Als ihr ältester Sohn wegen seines Studiums das Haus verließ, war die Wohnung plötzlich zu groß. Nicht mehr angemessen, befand die zuständige Behörde. 379 Euro stünden ihr für die Miete jetzt noch zu – 50 Euro weniger als Kahlerts Wohnung monatlich kostet. Sie ging schließlich auf ein bundesweit wohl einmaliges Angebot der städtischen Wohnungsgesellschaft ein. Die sperrte ihr bisheriges Arbeitszimmer zu, so dass die Wohnung nun nur noch 71 Quadratmeter groß ist. Im Gegenzug senkte der kommunale Vermieter die Miete um rund 50 Euro.

Die Wohnungsgesellschaft hat bereits in knapp 100 Fällen neue Mietverträge für Arbeitslosengeld-II-Bezieher geschrieben und Wohnungen im Schnellverfahren verkleinert. Geschäftsführer Matthias Urbansky sagt, „die Betroffenen sind zufrieden mit dieser Lösung.“ Dies erspare ihnen einen teuren Umzug. Im Übrigen seien kleinere Wohnungen Mangelware. Die Wohnungsgesellschaft selbst mit ihren insgesamt rund 2400 Wohnungen nimmt zwar etwas weniger Miete ein. Andererseits werde so ein weiterer Leerstand vermieden, sagt Urbansky. In dem Plattenbauviertel steht aktuell jede fünfte Wohnung leer.

Kahlert hat sich mit der neuen Situation arrangiert, besonders glücklich ist sie aber nicht. „Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, in seiner Wohnung einen vertrauten Raum nicht mehr benutzen zu können“, sagt sie.

Bei Erwerbsloseninitiativen stößt die Praxis indes auf wenig Verständnis. Angesichts des hohen Leerstandes bei größeren Wohnungen und der minimalen Einsparungen wäre ein Mietnachlass auch ohne Zimmerverbote angebracht gewesen, argumentieren sie. Die Maßnahme sei überzogen, reine Schikane, heißt es hier. Helma Orosz (CDU), Sozialministerin in Sachsen, kann die Aufregung dagegen nicht verstehen. Dies sei eine Möglichkeit, die Belastungen für die Betroffenen gering zu halten, sagt sie.

Betty Kahlert will keinen Ärger und sich an das Nutzungsverbot halten – obwohl sie die Situation einigermaßen bizarr findet. Immerhin kündigte die Wohnungsgesellschaft Prüfungen an, auch das Amt in Löbau will Kontrolleure schicken. Der eigentliche Irrsinn sei aber, sagt Kahlert, dass sie trotz guter Ausbildung keine Arbeit habe.

Lars Rischke[Löbau]

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