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Politik: Milosevic-Tribunal: "Es geht nicht um kollektive Schuld"

Die Jugoslawien-Kriege der neunziger Jahre haben eine neue Formel des Schreckens hervorgebracht: "ethnische Säuberung". Die Chefanklägerin des Den Haager UN-Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, erinnerte zum Prozessauftakt am Dienstag an "die berüchtigten Ereignisse", die den früheren jugoslawischen Machthaber Slobodan Milosevic schließlich vor Gericht gebracht haben.

Von Caroline Fetscher

Die Jugoslawien-Kriege der neunziger Jahre haben eine neue Formel des Schreckens hervorgebracht: "ethnische Säuberung". Die Chefanklägerin des Den Haager UN-Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, erinnerte zum Prozessauftakt am Dienstag an "die berüchtigten Ereignisse", die den früheren jugoslawischen Machthaber Slobodan Milosevic schließlich vor Gericht gebracht haben. "Wir sollten einen Augenblick innehalten und uns die täglichen Szenen von Trauer und Leid ins Gedächtnis rufen", sagte del Ponte. Sie erinnerte an das "nahezu mittelalterliche Wüten und kalkulierte Grausamkeiten, die weit über legitime Kriegsführung hinausgingen". Das Ausmaß der Verbrechen sprenge den Rahmen nationaler Gerichte. Deshalb sei allein ein internationales Tribunal der adäquate Verhandlungsort, sagte del Ponte.

Dennoch betonte die Chefanklägerin - gewiss auch mit Blick auf die Zuschauer in Ex-Jugoslawien, wo Fernsehsender die ersten Prozesstage live senden - dass hier lediglich ein Individuum vor Gericht stehe, "kein Staat, keine Organisation." Sie fügte hinzu: "Kollektive Schuld ist kein Teil der Anklage. Und ich möchte auch klarstellen, dass ich die Idee solcher Schuld ablehne." Carla del Ponte erinnerte auch an das Leiden der serbischen Bevölkerung, die zur Flucht gezwungen war. Damit wollte sie dem Voruteil, das Tribunal sei "anti-serbisch" eingestellt, entgegentreten.

Der Hauptvertreter der Anklage im Fall IT-02-54, der zwei bis drei Jahre verhandelt werden soll, ist Geoffrey Nice. Der 57-jährige Brite skizzierte den Werdegang des Angeklagten anhand der Klageschriften zu Kroatien, Bosnien und Kosovo. Zunächst wird die zeitlich jüngste Anklage - Kosovo - behandelt. Das habe eine gewisse Folgerichtigkeit, denn mit dem Kosovo begann und endete die Karriere des Mannes, "auf dessen historischem Konto 250 000 Tote stehen", sagte Nice. Er schilderte exemplarisch drei individuelle Schicksale aus den drei Kriegen gegen die nicht serbische Bevölkerung. Etwa das Massaker im Krankenhaus von Vukovar, bei dem 1991 rund 200 Zivilisten ermordet wurden. Zufällig kannte einer der Männer einen serbischen Soldaten persönlich, der ihn entkommen ließ. "Dieser Mann wird hier als Zeuge aussagen."

Doch zunächst befasste sich Nice mit dem Aufstieg des Angeklagten und der Heranbildung seiner Macht. Slobodan Milosevic, der sich bei seinen Auftritten in der Prozess vorbereitenden Phase ignorant an den Vorgängen im für ihn "illegalen Tribunal" gab, zeigte beim Vorführen eines Videos, auf dem er als Redner im Kosovo am 24. April 1987 zu sehen ist, plötzliches Interesse. Gegen seine Gewohnheit beugte sich der Ex-Diktator vor und folgte dem Film gebannt. Danach grinste Milosevic Gericht und Publikum zu. Prozessbeobachter Richard Dicker von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte: "Er schien zurückversetzt in alte Zeiten und sehr mit sich zufrieden."

Sowohl Nice als auch del Ponte wollen belegen, dass es dem Angeklagten nicht um nationale Ideale ging, sondern stets um das Instrumentalisieren von Ressentiments zum Zweck der Vergrößerung seiner eigenen Macht. Obwohl Nice darauf hinweist, dass der Prozess individuelle strafrechtlich relevante Verantwortung nachweisen und nicht politische oder historische Urteile fällen soll, kann keine Anklage umhin, die Handlungen in einen historischen Kontext zu stellen. "Auf die Geschichte" kündigten Milosevics Belgrader Rechtsberater an, werde der Angeklagte selbst demnächst ausführlich zu sprechen kommen.

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