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Missbrauchsskandal: Bischof räumt bewusste Vertuschung ein

Erzbischof Robert Zollitsch hat die bewusste Vertuschung von Missbrauchsfällen in der Kirche zugegeben. Inzwischen häufen sich enttäuschte Reaktionen auf den Papstbrief.

Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat eingeräumt, dass in der katholischen Kirche Fälle sexuellen Missbrauchs bewusst verschleiert wurden. "Ja, das hat es bei uns gegeben", sagte der Freiburger Erzbischof dem Nachrichtenmagazin Focus. Zollitsch wies allerdings Vorwürfe zurück, er selbst habe Missbrauchsfälle vertuscht.

Sexueller Missbrauch Minderjähriger sei über Jahrzehnte in der gesamten Gesellschaft vertuscht worden, sagte Zollitsch. Auch wenn deutlich sei, dass "die meisten Fälle außerhalb des kirchlichen Raumes" geschähen, seien sie in der Kirche besonders schlimm, sagte er. "Dass Übergriffe in solcher Zahl auch in unseren Einrichtungen stattgefunden haben, beschämt mich und bewirkt in mir ein großes Erschrecken. Jeder einzelne Fall verdunkelt das Gesicht der ganzen Kirche".

Zollitsch sagte, schon seit Jahren steuere die Katholische Kirche "den entgegengesetzten Kurs" und kläre Fälle von Missbrauch auf. Er sehe eine Pflicht zur Anzeige bei Verdachtsfällen allerdings kritisch. Immer wieder höre er von Fällen, bei denen Opfer über ihr Leid sprechen wollten, aber eine Anzeige ausdrücklich nicht wünschten.

"Das stürzt uns moralisch in Probleme, da wir ja dennoch daran interessiert sind, dass Täter überführt werden und der staatliche Prozess zu einem Urteil kommt", sagte der Erzbischof dem Focus.

Seines Erachtens verlange der Weg zur Staatsanwaltschaft unbedingt Anhaltspunkte für eine mutmaßliche Tat. Immerhin könne man Menschen durch falsche Beschuldigungen geistig umbringen. Darüber werde vielleicht in der momentanen erhitzten Situation zu wenig nachgedacht.

Der Erzbischof widersprach Vorwürfen, er selbst habe Anfang der 90er Jahre Missbrauchsvorwürfe gegen einen Pfarrer vertuscht. Zollitsch war damals Personalreferent beim Erzbischöflichen Ordinariat. 1991 habe es zwar gegen einen Pfarrer in Oberharmersbach Anschuldigungen gegeben, aber "ohne Benennung von Zeugen oder Betroffenen". Der damalige Erzbischof habe den Priester daraufhin in den Ruhestand versetzt und von ihm verlangt, den Ort zu verlassen.

Erst später habe sich ein Zeuge mit konkreten Anschuldigungen gemeldet, womit der Beschuldigte konfrontiert worden sei. Dabei habe die Kirche dem ehemaligen Pfarrer auch deutlich gemacht, "dass wir entschlossen sind, die Staatsanwaltschaft einzuschalten".

Dieser habe sich daraufhin das Leben genommen. Die betroffene Gemeinde wurde den Angaben zufolge anschließend informiert, Opfern wurde eine Therapie sowie finanzielle Unterstützung dazu angeboten. Gebrauch machten davon laut Zollitsch 17 Menschen.

Zollitsch sagte, "das lange Schweigen vor Ort" habe die Kirche "an einem früheren Eingreifen gehindert". Aus heutiger Sicht würde er aber "konsequenter und mit größerem Nachdruck nach Zeugen und Opfern suchen und suchen lassen."  Der Erzbischof sagte: "Wir haben alle aus den erschreckenden Fällen von Missbrauch gelernt". Die Opfer des Missbrauchs in Oberharmersbach bat Zollitsch erneut um Verzeihung.

Unterdessen häufen sich enttäuschte Reaktionen der Opfer über den Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI., in dem er sich zur sexuellen Gewalt in der irischen Kirche äußerte.

"Meine erste Reaktion war tiefe Enttäuschung", sagte Maeve Lewis vom Bündnis One in Four am Wochenende. Benedikt XVI. stelle sich nicht der Verantwortung des Vatikans und dem strukturellen Problem.

Katholiken in den USA erklärten, der Papst hätte das ganze Ausmaß der sexuellen Übergriffe in zahlreichen Ländern ansprechen müssen. Auch zu den Fällen in Deutschland, seinem Heimatland, schwieg der Papst. Die Bewegung "Wir sind Kirche" zeigte sich davon enttäuscht. Zollitsch sagte, er verstehe den Hirtenbrief auch als Mahnung an deutsche Bischöfe.

Benedikt hatte sich sich bei den Opfern entschuldigt. Er fühle Scham und Reue, heißt es in seinem Schreiben. Vier Monate nach Vorlage eines irischen Regierungsberichts reagierte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche damit auf die Missbrauchsfälle in Dublin in den Jahren 1975 bis 2004.

Die Basisgruppe "Wir sind Kirche" äußerte sich kritisch: "Sehr konkrete Hinweise, was getan werden kann außer Beten, sind in diesem Brief nicht zu finden", sagte Christian Weisner von "Wir sind Kirche". Auch die Frage des Zölibats und der katholischen Sexuallehre werde in keiner Weise angesprochen.

Zollitsch sprach dagegen von einer schonungslosen Analyse. Sie zeige, dass sich der Papst dem Problem sexuellen Missbrauchs mit Ernst und mit großer Sorge stellte. Er sei für die Worte des Papstes dankbar. "Wir wissen, dass auch bei uns in Deutschland Fehler gemacht wurden", sagte Zollitsch. "Wir dürfen Fehler nicht wiederholen und brauchen auch in Deutschland eine lückenlose Aufklärung und uneingeschränkte Transparenz."

Obwohl der Papst nicht direkt auf die zuletzt bekanntgewordenen Missbrauchsfälle in Deutschland, Österreich und den Niederlanden eingeht, schrieb er am Anfang seines Briefes: "Es ist wahr, dass das Problem des Missbrauchs von Kindern weder ein rein irisches noch ein rein kirchliches ist."

In Deutschland sind inzwischen mehr als 100 Fälle von Übergriffen auf Kinder in katholischen Institutionen bekanntgeworden. Auch in den USA, Australien, Großbritannien, Kanada, Frankreich und Polen wurde über Übergriffe berichtet. Zuletzt teilte am Samstag die Kirche in der Schweiz mit, dort gebe es etwa zehn Verdachtsfälle.

Quelle: ZEIT ONLINE, AFP, Reuters

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