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Politik: Mit der Klausel in Klausur

Bei einem Spitzentreffen widmete sich die Koalition den letzten Streitpunkten der Gesundheitsreform

Berlin - Drei Monate nach dem Beschluss ihrer Eckpunkte wollte die Koalition in einer abendlichen Spitzenrunde im Kanzleramt erneut einen Kompromiss zur umstrittenen Gesundheitsreform finden. Noch im Juli hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das 54 Seiten starke Eckpunktepapier als „Durchbruch“ gelobt – etwas voreilig. Über die Sommerpause stellten immer mehr Unions-Ministerpräsidenten einzelne Eckpunkte in Frage. Auch die Versuche von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die Verabredungen in einen Gesetzestext zu packen, stießen bei CDU und CSU auf heftigen Protest.

Auf Spitzenebene muss der Streit über die Ein-Prozent-Klausel gelöst werden, der zu einem der zentralen Knackpunkte in den Verhandlungen geworden ist. In den Eckpunkten hatten die Koalitionspartner vereinbart, dass die Versicherten maximal ein Prozent ihres Haushaltseinkommens für Zusatzbeiträge zahlen müssen. Die Zusatzbeiträge werden fällig, wenn eine Kasse nicht mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds auskommt. Die SPD hatte auf dieser Regelung bestanden, um die Versicherten vor finanzieller Überforderung zu schützen. Die Union beklagt inzwischen, das sei nicht praktikabel und verlangt, die Klausel zu lockern. Eine Kasse mit vielen Geringverdienern könne in Schwierigkeiten kommen, wenn ein Großteil der Versicherten vom Zusatzbeitrag befreit wäre. Um einen Ausweg zu finden, haben Merkel und SPD-Chef Kurt Beck zwei Sachverständige um ihren Rat gebeten: den Chef der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, und Ex-Barmer-Chef Eckart Fiedler. Beide empfehlen, das Gesundheitswesen stärker über Steuern zu finanzieren. So könne ein Zuschuss für die Kassen finanziert werden, die viele einkommensschwache Mitglieder haben.

Bei zwei anderen zuletzt umstrittenen Themen haben die Fachpolitiker zwar Einigungen erzielt, die aber zum Teil wieder in Frage gestellt wurden. So etwa der Finanzausgleich zwischen den rund 250 Krankenkassen. Künftig sollen die Kassen einen Ausgleich erhalten, der sich nach den Krankheitskosten und -häufigkeiten richtet. Eine Kasse, die besonders viele schwerkranke oder alte Versicherte hat, bekommt mehr Geld aus dem Fonds. Die SPD setzte sich in den Verhandlungen für einen möglichst genauen „morbiditätsorientierten“ Ausgleich ein, weil sie diese Verteilung der Gelder gerechter findet. Die Union wollte maximal 30 Krankheiten definieren. Als Kompromiss sollen nun mindestens 50 Krankheiten herangezogen werden. Der SPD-Linken geht das nicht weit genug. Und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) fordert darüber hinaus einen finanziellen Zuschlag für sein Bundesland.

Beim Umbau der privaten Krankenversicherung hat sich die Union kaum bewegt. Die Versicherungen sollen für alle einen neuen Basistarif anbieten, der den Leistungen der gesetzlichen Kassen entspricht. Wer den Tarif wählt, muss sich keiner Risikoprüfung unterziehen. Der Kunde muss also keine Zuschläge zahlen, wenn er eine Vorerkrankung hat; ein Unternehmen darf ihn nicht wie bisher ablehnen. Es wird höchstens der Betrag fällig, den freiwillig Versicherte bei den gesetzlichen Kassen zahlen (rund 500 Euro). Außerdem soll erstmals ein Versicherungswechsel ermöglicht werden. Weil Versicherte bisher die Alterungsrückstellungen nicht zu einem neuen Anbieter mitnehmen dürfen, lohnt sich der Wechsel faktisch nicht, sie sollen deshalb „portabel“ werden. Trotzdem bleibt fraglich, ob ein Wechsel dadurch attraktiver wird: Die Versicherten müssten schließlich bei einem neuen Anbieter eine Risikoprüfung machen (und teurere Prämien zahlen) – oder aber den Basistarif mit geringeren Leistungen wählen.

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