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Politik: Mit der Stimmung stimmt was nicht

Kanzlerin Merkel sieht Trendwende, Ex-CDU-Generalsekretär Geißler nur „ruhigeres Fahrwasser“

Berlin - Der Blick zurück zeigt bizarre Ausschläge und nur eine Konstante: In den Befunden der Demoskopen über die politische Stimmung werden die Pendelausschläge immer heftiger. Vorsicht hat sich in die langfristigen Prognosen geschlichen: Man weiß eigentlich nur, dass die Wähler immer schwankender werden. Als Momentaufnahmen liefern die wöchentlichen Befunde trotzdem Stoff für eherne Urteile: Die neue Unzufriedenheit der Deutschen mit der Demokratie alarmiert, das Ende der Volksparteien steht so gut wie fest.

Dazu passt es überhaupt nicht, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Wochenende eine „Trendwende“ für die große Koalition entdeckt. Auch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) bekennt, er sei „hoffnungsfroher als vor einem Dreivierteljahr“. Die Arbeitslosenquote erstmals wieder unter zehn Prozent und eine Konjunktur, die den öffentlichen Kassen unerwartete Milliarden in die Kassen spült – wächst das Ansehen der Bundesregierung kurz vor dem ersten Jahrestag?

Damit allein nicht. Die harten Daten bei Arbeitsmarkt und Wirtschaft entwickeln sich schon seit Monaten erfreulich; die Erwartungen an Merkels Mannschaft verdüsterten sich nach gutem Start trotzdem von Woche zu Woche. Mit Hoffnungen auf den wirtschaftlichen Aufschwung haben bedrängte Kanzler oft spekuliert, auch Merkels Lehrmeister Helmut Kohl. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) hatte nach dem ersten rot-grünen Chaosjahr kräftigen Rückenwind durch den beginnenden Aufschwung und hat ihn forsch als seine Leistung reklamiert: „Dieser Aufschwung ist mein Aufschwung.“ Nach dieser Logik war allerdings auch der folgende Abschwung mit den steigenden Arbeitslosenzahlen der von Schröder. Merkel hat daraus gelernt. „Wenn wir jetzt konsequent und ohne falsche Versprechen weiterarbeiten, können wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen“, erläutert sie der „Bild am Sonntag“ eher bescheiden. Wenn die Stimmung sich der verbesserten Lage annähern soll, dann muss die Regierung nachweisen, dass sie Probleme zügig und einvernehmlich lösen kann.

Insofern sind die Hoffnungen der Kanzlerin nicht ganz unberechtigt. Unternehmenssteuerreform und die Verteilung des Steuerplus zeigten die große Koalition von einer besseren Seite als die Gesundheitsreform.

Eine Trendwende, sagt der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, setze ja voraus, dass es vorher einen anderen Trend gegeben habe. Den sieht er aber nicht. Nach der Bundestagswahl habe es in vielen Medien eine heftige Enttäuschung darüber gegeben, dass das neoliberale schwarz-gelbe Projekt von den Wählern abgelehnt worden sei. Und viel berechtigte Kritik an der Gesundheitsreform. „Der negative Trend“, sagt Geißler, „war im Wesentlichen ein publizistisches Phänomen.“

Es geht eher um eine verbesserte Stimmung als um eine Trendwende. Im Rückblick zeigen die „Sonntagsfragen“ der Demoskopen, dass bei den politischen Stimmungen die nächste große Welle immer die vorherige bricht. Langfristige Trends hingen an Grundfragen, den Zweifeln an der sozialen Gerechtigkeit oder daran, dass immer mehr Menschen das Wohl der Wirtschaft nicht mehr mit ihrem eigenen identifizieren. „Die große Koalition kommt in ein etwas ruhigeres Fahrwasser“, sagt Geißler lapidar.

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