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Politik: Mit Polen regiert Europa

NEUE ORDNUNG IM IRAK

Von Christoph von Marschall

Verblüffend, wie selbstverständlich Präsident Bush die Nachkriegsordnung im Irak betreibt: drei Militärzonen, die von Amerika, Großbritannien und Polen geführt werden; mehr als zehn Länder haben Kontingente für die Friedenstruppe zugesagt. Die meisten Europäer sind überrascht. Können die das? Dürfen die das? Was ist mit den UN, der EU, der Nato? Vor allem: Geht das einfach so ohne Frankreich, Deutschland, Russland? Und vertieft das nicht nochmals die Teilung Europas?

Man darf es auch umgekehrt sehen. Erstaunlich ist Europas Erstaunen. Im Irak passiert, was nach jedem Krieg geschah, von Deutschland 1945 bis Bosnien und Kosovo: Die kriegsführenden Staaten übernehmen die Verantwortung für den Frieden und die Übergangsverwaltung. Frankreich, Deutschland und andere Kriegsgegner in Nato und EU haben frühzeitig signalisiert, dass sie nicht mittun wollen. Also haben sie keinen Grund, verstimmt zu sein. Aber wenn ihre Zurückhaltung taktisch war, um den Preis hochzutreiben, in der Erwartung, Amerika werde irgendwann um Hilfe betteln – dann haben sie sich verrechnet.

Und doch ist das eine gewöhnungsbedürftige Vorstellung: „lead nation" Polen. Heute als Führungsmacht im Irak und demnächst mit dem Anspruch, auch in der EU den Ton mit anzugeben? Andererseits: Warum eigentlich nicht? Polen hat mit Amerikanern und Briten gekämpft, ist wegen enger Kooperation mit dem Irak in den 70er und 80er Jahren mit dem Land vertraut, Polens Botschaft hat in den jüngsten zwölf Jahren die USInteressen in Bagdad vertreten. Hier nutzt Amerika Polens Kompetenzvorsprung.

Europa könnte ähnliches tun. Aber hierzulande hat die Debatte um die Kosten der EU-Erweiterung den Blick dafür verstellt, dass die Neuen Kenntnisse und internationale Beziehungen einbringen, die die EU bereichern. Erfahrungen mit Russland und der Ukraine zum Beispiel, oder, im Fall Polens, ein enges, ja herzliches Verhältnis zu Amerika. Ist die Vorstellung, Präsident Kwasniewski könne seinem Freund Gerhard S. helfen, das verkorkste Verhältnis zu seinem anderen Freund George W. zu entkrampfen, nur ein abschätziges Lächeln wert? In der künftigen EU wird Polen ein Gewicht sein, das gewiss nicht unterwürfig Vorgaben aus Paris oder Berlin akzeptiert, sondern auf gleicher Augenhöhe eigenständige Politik betreiben will. Und im Zweifel die „lead nation" der zehn neuen EU-Staaten aus dem Osten ist, die wegen ihrer Geschichte emphatischer für Freiheit und gegen Diktatur eintreten als die friedensverwöhnten Westeuropäer.

Viele EU-Staaten tun sich noch schwer, sich auf die neuen Kräfteverhältnisse einzustellen, gegenüber Amerika, aber auch in der EU nach der Erweiterung. Und zu verstehen, dass Europa zwar einerseits nur stark sein kann, wenn es einig ist. Dass, andererseits, aber auch die Vielfalt politischer Ansätze und Traditionen nützlich sein kann – für ganz Europa. Die Zeiten, in denen Frankreich und Deutschland EU-Politik absprechen und die anderen folgen, folgen müssen, sind vorbei. Sie können sogar in die Minderheit geraten. Ihrer offensiven Wendung gegen Amerika im Irak-Krieg mochte halb West- und fast ganz Osteuropa nicht folgen.

Diese Spaltung muss sich nach dem Krieg aber nicht wiederholen. Wenn Briten und Polen nun mit Amerika den Irak befrieden und auch Dänen, Italiener, Niederländer, Spanier sowie Osteuropäer Truppen stellen, dann tun sie etwas, woran sich Franzosen und Deutsche aus verständlichen Gründen nur zögerlich beteiligen wollen, was aber gleichwohl im Interesse aller Europäer liegt: dem Irak zu einer stabilen Ordnung zu verhelfen. Polens Führungsrolle dabei ist kein Grund zur Kritik, sondern zur Freude.

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