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Politik: Mitten durch den Chimki-Wald

Russland will nun doch eine umstrittene Autobahn bauen – Kritiker sind entsetzt

Wladimir Lukin, der Menschenrechtsbeauftragte von Präsident Dmitri Medwedew, hat Umweltschützer und Opposition zur „Toleranz gegenüber Beschlüssen der Macht“ beim Projekt für die Autobahn Moskau–St. Petersburg aufgefordert. Die rund 700 Kilometer lange Trasse soll durch ein Waldstück bei Chimki im Nordwesten der russischen Hauptstadt geschlagen werden. Umweltschützer und Anwohner laufen seit drei Jahren Sturm gegen das Vorhaben, vermuten Korruption und wollen sich nicht damit abfinden, dass private Finanzinteressen vor das Gemeinwohl gestellt werden.

Teile des Waldes wurden bereits abgeholzt, gegen den Widerstand der Bürgerbewegten, die sich mit Sitzblockaden wehrten. Ordnungskräfte nahmen dabei mehrere Aktivisten fest. Auch die Überfälle auf zwei Journalisten erklären die Umweltschützer mit kritischer Berichterstattung zum Bau der umstrittenen Autobahn. Eines der Opfer – Michail Beketow – kämpfte wochenlang mit dem Tod, kann nach wie vor nicht sprechen, wird zeitlebens ein Krüppel bleiben und wurde noch dazu von Wladimir Streltschenko, dem Bürgermeister von Chimki, wegen Verleumdung vor Gericht gezerrt.

Im August stoppte Präsident Dmitri Medwedew jedoch die Bauarbeiten. Offizielle Begründung: Bedarf an „zusätzlichen Analysen“. In Wahrheit dürfte den Kremlchef die schlechte Stimmung in der Hauptstadt veranlasst haben, zurückzurudern. Durch Torf- und Waldbrände erstickte Moskau im Smog, Umweltschützer, hierzulande häufig als weltfremde Spinner belächelt, hatten die Sympathien der Massen. Kreml und Regierung fürchteten daher, der Feuersturm und das Gerangel um den Wald bei Chimki könnten eben jenen Massenprotest lostreten, um den sich die liberale Opposition mit rein politischen Themen bislang vergeblich müht. Zumal auch die latente Unzufriedenheit mit Medwedews Amtsvorgänger sich dann Bahn brechen würde: Wladimir Putin, der auch das Autobahnprojekt auf den Weg gebracht hat. Besonders kühne Propheten orakelten daher bereits, der Ausgang des Gerangels um den Chimki-Wald entscheide mit, wer von beiden bei den Präsidentenwahlen 2012 antritt.

Die gewöhnlich gut informierte Wirtschaftszeitung „Wedomosti“, die in Kooperation mit dem „Wall Street Journal“ herausgegeben wird, hatte mit einer Entscheidung bereits für Donnerstag gerechnet. Medwedew, so das Blatt unter Berufung auf gut informierte Quellen im Kreml, werde die Fortsetzung der Bauarbeiten bei einem Treffen mit Frankreichs Premierminister François Fillon bekanntgeben. Denn an dem Projekt ist auch der französische Konzern Vinci beteiligt. Das Unternehmen kontrolliert die Hälfte der Anteile einer am Bau beteiligten russischen Firma. Öffentlich äußerten sich beide Politiker nach Abschluss der Unterredung aber nicht. Kritische Journalisten gehen davon aus, dass Medwedew dennoch grünes Licht für den Weiterbau gibt oder bereits gegeben hat. Auch weil Russland andernfalls eine Vertragsstrafe von umgerechnet bis zu 85 Millionen Euro zahlen müsste.

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