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Politik: Modernes Moderieren

EUROPAS LINKE BEI BLAIR

Von Christoph von Marschall

Sie sind grau geworden, und so jungenhaft keck wie 1999 in Florenz lächelt kaum noch einer. 13 eher linke Staats und Regierungschefs aus mehreren Kontinenten sind Tony Blairs Einladung zum Traditionstreffen gefolgt. Und es zeigt sich: Das Moderne Regieren ist in die Jahre gekommen. Auch wenn die „spin doctors“, die Werbestrategen der Politik, die weltumspannende Zusammensetzung als Erfolg verkaufen, als Globalisierung von gutem Regieren – die Wahrheit dahinter ist: In Europa dauerte das angebliche sozialdemokratische Zeitalter ziemlich kurz. 1999 wurden 13 von 15 EU-Staaten sozialdemokratisch regiert, nur Irland und Spanien nicht. Inzwischen ist die Linke nur noch in Belgien, Deutschland, Griechenland, Großbritannien und Schweden an der Macht. Deshalb lud Blair diesmal so viele Mächtige aus fernen Landen nach London. Wie kam’s? War das Konzept falsch? Haben Europas moderne Führer es nicht konsequent genug befolgt? Oder sind die Konservativen der Linken heute gar an Modernität überlegen?

Was immer auf dem nationalen Etikett stand – New Labour, Neue Mitte, Dritter Weg –, die Wahlerfolge Ende der 90er Jahre verdankten sich einer Mischung aus modisch und modern, aus Programm und persönlichem Image der Spitzenleute. Sie präsentierten sich als Macher statt Ideologen, Technokraten statt Visionäre, sangen keine Klassenkampflieder, erkannten Markt und Unternehmertum als Quelle des Wohlstands an, versprachen die Abkehr von Allzuständigkeit und Autoritätsgehabe des Staates, wollten Eigenverantwortung der Bürger und Selbstverwaltung von unten stärken, Entscheidungsabläufe beschleunigen.

Das klingt modern, erklärt aber nicht den europaweiten Erfolg. So anders lasen sich liberale und christdemokratische Programme damals auch nicht. Entscheidend war, dass die Blair und Schröder doppelt jung wirkten: weil sie sich von den in die Jahre gekommenen bürgerlichen Regierungen à la Thatcher/Major oder Kohl abhoben, und vom traditionellen Typus der Arbeiter-Sozialdemokratie. Sie verkörperten die Manager des gesellschaftlichen Wandels in Zeiten der Globalisierung. Und einen Generationssprung: Tony Blair konnte 2000 in Berlin beim jährlichen Klassentreffen der modernen Regierer nicht dabei sein, weil er Vater wurde; Schröder blieb die Rolle des späten Stiefvaters.

Vieles, was zum Charme der Anfangsjahre beitrug, ist verblasst. Nach sechs bis acht Jahren sind sie nicht mehr die Neuen, sondern selbst Establishment. Das können sie auch nicht beliebig oft kompensieren, indem sie neuere Hoffnungsträger dazuholen, erst den Südafrikaner Mbeki, dann den Brasilianer Lula da Silva. Und Ostmitteleuropa? Dort haben, gegen den Trend im Westen, vielerorts Sozialdemokraten die Bürgerlichen von der Macht verdrängt und muten ihren Völkern Transformationen zu, die sich im Westen kaum einer trauen würde; aber diese Leistung gilt als nachholende Modernisierung, nicht als Avantgarde – und ist 13 Jahre nach der Wende auch keine Novität mehr, die schmückt.

War alles nur Etikettenschwindel? Nein. Im Rückblick war das Moderne Regieren mindestens so sehr Ideologieersatz wie Programm. Die Welt von heute verlangt nach Pragmatismus – aber auch nach Sinnstiftung. Erst verdammten sie die Ideologie; dann ideologisierten sie ihren Pragmatismus als dritten Weg. Längst haben die Erwartungen, die sie geweckt haben, die Vordenker eingeholt. Zudem mussten sie lernen, dass sie ihre Handlungsmöglichkeiten überschätzt haben.

Was am Modernen Regieren nur Image war, ist verbraucht. Bei der Substanz ist die Bilanz gemischt. Leistung wurde nicht immer belohnt. Der Schwede Göran Persson hat Gesundheitswesen und Arbeitsmarkt umgekrempelt und wurde wieder gewählt. In den Niederlanden musste Wim Kok trotz einer erfolgreichen Reform- und Wirtschaftspolitik abtreten, ähnlich ging es in Dänemark. Blair verdankt seine klare und Schröder seine knappe Wiederwahl weniger besonderen Modernisierungserfolgen als dem Umstand, dass die Bürger der Opposition auch nicht mehr zutrauten. Jetzt haben sie ihre zweite Chance. Noch ist nicht ausgemacht, ob ihr Dritter Weg nur eine Mode war. Und wenn daraus mehr wird – durch Tatkraft und Bescheidenheit –, was ist daran eigentlich links?

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