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Münchner Prozess: Demjanjuk-Verteidiger wirft Justiz "Zwangsdeportation" vor

Wer ist Kläger, wer Angeklagter im Münchner Prozess? Der Verteidiger des mutmaßlichen Nazi-Helfers Demjanjuk hat schwere Vorwürfe gegen die deutsche Justiz erhoben.

Zweiter Tag im Münchner Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk: Wie zu Prozessbeginn erhob die Verteidigung auch am Dienstag schwere Vorwürfe gegen die deutsche Justiz, zweifelte die Rechtmäßigkeit des Verfahrens an und forderte schließlich dessen Einstellung.

Sein Mandant sei trotz einer tödlichen Erkrankung zwangsweise nach Deutschland gebracht worden, sagte Verteidiger Ulrich Busch. Mit dieser "Zwangsdeportation aus den USA" habe sich die deutsche Justiz auf illegale Weise des Angeklagten bemächtigt.

Demjanjuks Anwalt hält eine Einstellung des Verfahrens auch deshalb für nötig, weil nach seiner Darstellung die Vorwürfe der jetzigen Anklage auch schon im Prozess von 1988 in Israel eine Rolle gespielt hätten. Damit sei nach rechtsstaatlichen Grundsätzen die Strafanklage verbraucht, niemand dürfe im gleichen Fall zweimal angeklagt werden.

Hilfsweise beantragte Busch eine Aussetzung des Münchner Prozesses, um sämtliche Ermittlungsakten aus Russland, der Ukraine, den USA und Israel beiziehen zu können. Der Anwalt begründete seine Anträge auch damit, dass sein Mandant kein deutscher Amtsträger gewesen sei – deshalb gebe es "keinerlei Zuständigkeit und keinerlei deutsche Strafgewalt".

Das Gericht stellte die Entscheidung über die Anträge zurück, damit am Dienstag endlich mit der Verlesung der 86 Seiten dicken Anklageschrift begonnen werden konnte. Rund 12 Seiten sollen heute verlesen werden, dann hat Demjanjuk die Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Je nach Verlauf des Verhandlungstages können möglicherweise auch schon Nebenkläger als Zeugen gehört werden.

Seit Montag muss sich der 89-jährige Demjanjuk wegen Mithilfe beim Mord an 27.900 Juden verantworten. Der gebürtige Ukrainer soll als Kriegsgefangener mit den Nazis kollaboriert und sich am Massenmord im Vernichtungslager Sobibor beteiligt haben. Es dürfte einer der letzten NS-Verbrecherprozesse weltweit sein. Bis Mai 2010 sind vorerst 35 Verhandlungstage angesetzt und 23 Zeugen benannt worden.

Von Anfang an stellten seine Anwälte Demjanjuk als Opfer dar. Ihn müsste man genauso einstufen wie Juden, die von den Nazis zum Helfen gezwungen wurden, wie etwa der im Prozess als Nebenkläger auftretende Sobibor-Überlebende Thomas Blatt. "Indem sie für die Deutschen tätig wurden, haben sie nur ihr eigenes Leben retten wollen", sagte Verteidiger Busch vor dem Landgericht München II über die gefürchteten Trawniki und erntete heftige Kritik von Opferangehörigen und KZ-Überlebenden.

Neben diesen Verfahrensfragen stand am ersten Verhandlungstag vor allem der Gesundheitszustand des Greises im Vordergrund. Die medizinischen Gutachter verneinten eine tödliche Erkrankung des Angeklagten und erklärten ihn unter gewissen Einschränkungen für verhandlungsfähig. So legten die Ärzte fest, dass wegen der angeschlagenen Gesundheit des 89-Jährigen pro Tag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden darf.

Demjanjuk leidet laut ärztlichem Gutachten auch an Gicht, Herzschwäche und Bluthochdruck. Nach Aussagen eines Mediziners handelt es sich bei der Knochenmarkserkrankung von Demjanjuk noch nicht um eine Krebserkrankung, sondern allenfalls um eine Vorstufe dazu. 

Am Montag wurde Demjanjuk einmal im Rollstuhl und einmal auf einer Trage in den Gerichtssaal geschoben. Während der gesamten Verhandlung schwieg er und hielt die Augen geschlossen. Dies bedeute aber nicht, so einer der Ärzte, dass er dem Prozess nicht folgen könne. Vielmehr sei er wahrscheinlich auf die Übersetzung in seine Muttersprache Ukrainisch konzentriert.

Auch nach einer Unterbrechung, in der Demjanjuk eine Schmerzspritze bekam, hielten ihn die Mediziner für verhandlungsfähig. "Er war voll ansprechbar, voll kommunikationsfähig", sagte ein Mediziner. Anzeichen von Demenz gebe es nicht, ergänzte eine psychiatrische Gutachterin.

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, Reuters

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