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Politik: Nach dem Parteitag: Ost-Grüne sehen sich vernachlässigt

Mit scharfer Kritik haben ostdeutsche Grüne auf den Parteitag in Stuttgart reagiert. "Wir fühlen uns aufgegeben und abgeschrieben", sagte die Ost-Sprecherin der Bundestagsfraktion, Antje Hermenau aus Dresden, am Montag.

Mit scharfer Kritik haben ostdeutsche Grüne auf den Parteitag in Stuttgart reagiert. "Wir fühlen uns aufgegeben und abgeschrieben", sagte die Ost-Sprecherin der Bundestagsfraktion, Antje Hermenau aus Dresden, am Montag. Es sei nicht zu tolerieren, wenn den beiden Vorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn bei ihren Auftritten kein Wort zur Situation in den neuen Ländern einfalle, rügte Hermenau.

Zwar sei es gut, für Rückenwind bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu sorgen, aber entmutigend, wenn die bevorstehende Kommunalwahl in Sachsen nicht einmal erwähnt werde, sagte Hermenau in der Chemnitzer "Freie Presse". Sie forderte die Parteiführung auf, das angekündigte Programm zum Aufbau Ost schnellstens vorzulegen. Noch vor der Sommerpause müsse darüber im Parteirat abgestimmt werden.

Seit längerem überlegen die Grünen, ob die beiden Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt (Landesliste Thüringen) und Werner Schulz (Landesliste Sachsen) durch eine Kandidatur in Hessen oder Berlin abgesichert werden könnten. Hiergegen gibt es angesichts der anstehenden Verkleinerung des Bundestages nicht nur innerparteiliche Widerstände in den potenziellen Aufnahme-Ländern. Die Partei fürchtet auch, dass von einer möglichen Verpflanzung der Parlamentarischen Geschäftsführerin und des wirtschaftpolitischen Sprechers das Signal ausgehen könnte, die Grünen hätten den Osten, wo die Partei kaum Mitglieder hat, ganz abgeschrieben. Nach jüngsten Zahlen aus dem dritten Quartal 2000 haben Bündnis 90/Die Grünen in den neuen Ländern (ohne den Ostteil Berlins) 2900 Mitglieder.

Am Montag berieten der Grünen-Vorstand und der Parteirat über die Ergebnisse des Parteitages vom Wochenende. Roth und Kuhn betonten anschließend in Berlin vor der Presse die Zufriedenheit der Parteiführung mit der Bundesdelegiertenkonferenz. Roth meinte, man habe die Partei nach innen integriert und nach außen profiliert.

Zu den Sorgen Hermenaus, die Schulz in ähnlicher Form äußerte, sagte Kuhn: "Diese Kritik trifft die Realität nicht." Das geforderte Ost-Programm werde "in diesem Frühjahr" geschrieben werden. Es seien mehrere Reisen von Spitzen-Grünen in die neuen Länder geplant. Im Frühjahr solle das Programm auf einer Konferenz vorgestellt werden. Auch die Tatsache, dass der nächste Grünen-Parteitag im Herbst in Rostock stattfinden soll, belege, dass die Partei den Osten keinesfalls vergesse. Dass in Stuttgart "das Thema von der Regie nicht platziert" wurde, habe mit der Konzentration auf die anstehenden Landtagswahlen zu tun.

Roth sagte zu der umstrittenen Forderung nach einer Wiederherstellung des ursprünglichen Asylrechts, die Fraktion werde "realitätsnah prüfen, ob dies umsetzbar ist". Es handele sich "um einen kleinen Beschluss" im Gesamtkonzept zur Zuwanderung. Dieses verbinde "eher egoistische" Vorschläge wie am Arbeitsmarkt orientierte Quoten mit "eher altruistischen" Ideen wie einem umfassenden Asylrecht.

Neben den beiden Vorsitzenden war auch Agrarministerin Renate Künast bemüht, dem Eindruck eines Linksrucks beim Parteitag entgegenzutreten. Alle Grünen seien intelligent genug zu wissen, dass für Grundgesetzänderungen Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag nötig seien, sagte Künast in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" zum Asylrecht. "Und wir wissen auch, dass nach der nächsten Bundestagswahl diese Zweidrittel-Mehrheit nicht von Rot-Grün gestellt wird." Auch Roth sagte: "Es war von vornherein klar, dass eine Zweidrittel-Mehrheit nicht da" sein würde. "Dieser Beschluss stand nicht im Vordergrund", wertete Kuhn. Die Charakterisierung von Bundeskanzler Schröder, die Grünen seien in der Asylfrage "ausgeflippt", trage er gelassen. "Das nehmen wir freundlich auf", sagte Kuhn.

Zum zweiten strittigen Punkt, der geforderten Trennung von Amt und Mandat, sagte Roth: "Das würde ich als demokratiepolitische Debatte einschätzen wollen." Kuhn schloss rasche Nachverhandlungen mit der eigenen Basis aus. "Wir haben nicht vor, in dieser Legislaturperiode darüber nochmals bei einem Parteitag zu beraten", sagte der Grünen-Chef.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering schwächte die Kritik der Sozialdemokraten am kleinen Koalitionspartner ab. Den Stuttgarter Parteitag wertete Müntefering als "unspektakuläres Ereignis, das ruhig, entschieden, geschlossen und gut organisiert" gewesen sei. Er gehe weiter davon aus, dass die Koalition nach der Wahl 2002 fortgesetzt werde.

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