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September 2019: Demo für mehr Klimaschutz vor dem Brandenburger Tor

© Jens Büttner/dpa

Autofahren, Strom, Heizen: Das bedeutet das neue Klimaschutzgesetzt konkret

Am Mittwoch will das Kabinett Nägel mit Köpfen machen: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Was ändert sich für Verbraucher, was für die Industrie?

Zwei Wochen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts will die Bundesregierung ein neues Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen. Der Gesetzentwurf, der am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden soll und der dem Tagesspiegel vorliegt, sieht jährliche Einsparziele bei den Treibhausgasen für die nächsten beiden Jahrzehnte vor. Diese erfordern deutliche Veränderungen – etwa in der Stromerzeugung, der Industrieproduktion oder beim Autofahren.

Bis 2045, so das Ziel der Bundesregierung, soll Deutschland klimaneutral werden. Das bedeutet, dass zu dem Zeitpunkt die Menge an klimaschädlichen Gasen, die in die Atmosphäre gelangen und zur Erderwärmung beitragen, nicht mehr steigen soll. Die Gesetzesnovelle war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht die Freiheitsrechte der jungen Generation wegen zu großer Lasten durch den Klimawandel gefährdet sah.

Mit dem überarbeiteten Klimaschutzgesetz legt die Bundesregierung nun erstmals Ziele für die Zeit nach 2030 vor. Aber auch die Sparvorgaben bis dahin werden verschärft. Allerdings wird noch nicht beschrieben, wir diese erreicht werden sollen. Aktuell wird über zwei Stellschrauben diskutiert, die noch vor der Bundestagswahl angefasst werden könnten: Zum einen ein höherer CO2-Preis, der fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas teurer machen würde.

Zum anderen mehr Tempo beim Ausbau von erneuerbaren Energien wie Sonne oder Wind. Die nächste Regierung habe nach der Bundestagswahl die Aufgabe, „eine neue Raketenstufe der Umsetzung“ zu zünden, sagt WWF-Klimachefin Viviane Raddatz. Klar ist: Es muss sich schnell eine Menge ändern, um die Einsparziele zu erreichen.

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Beispiel Autofahren: Seit 1990 bewegen sich die Emissionen im Verkehrssektor auf konstantem Niveau, im nächsten Jahrzehnt sollen sie um mehr als 40 Prozent sinken. Die Bundesregierung spricht in ihrem Gesetzentwurf davon, dass die Elektrifizierung von Fahrzeugen „massiv“ vorangetrieben werden müsse.

Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor?

Ein festes Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, wie die Grünen für 2030 fordern, lehnen Union und SPD ab. Sollte der CO2-Preis im nächsten Jahr stärker steigen als bisher geplant, würde Sprit entsprechend teurer. In diesem Jahr lag das Plus beim Liter Benzin bei etwa sieben Cent. Der CSU-Vorschlag, den CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne auf 45 Euro anzuheben, würde sich mit weiteren sechs bis sieben Cent bemerkbar machen.

Um Verbraucher:innen an anderer Stelle finanziell zu entlasten, sind deshalb verschiedene Möglichkeiten im Gespräch: von einer Senkung der Stromkosten bis zu einer Pro-Kopf-Prämie als Ausgleich für die Haushalte, wie die Grünen fordern. Die SPD sieht einen höheren CO2-Preis allerdings skeptisch.

Die stärksten Einsparungen (minus 60 Prozent bis 2030) plant die Regierung für den Sektor, der die meisten Emissionen verursacht: die Energiewirtschaft. Deshalb wird auch über einen vorgezogenen Kohleausstieg debattiert. Bisher ist geplant, dass die letzten Meiler spätestens 2038 vom Netz gehen.

Um das zu beschleunigen, müsste das Gesetz nicht zwingend aufgeschnürt werden. Ein steigender CO2-Preis würde auch dazu führen, dass der Betrieb von Kohlekraftwerken sich weniger rentiert. Ein anderer Punkt ist, den Ausbau der Windkraft zügiger voranzutreiben. Strittig ist dabei, in welchem Abstand zu Wohngebäuden Windräder gebaut werden dürfen.

Umstellung auf klimaneutrale Stahlproduktion

In der Industrie sind die Einsparziele nur „bei massiver Dekarbonisierung der Industrieanlagen und –prozesse erreichbar“, heißt es im Gesetzentwurf. So sorgt allein die Stahlindustrie für rund acht Prozent der Treibhausgase in Deutschland. Schon jetzt testen Hersteller wie ThyssenKrupp oder Salzgitter neue Verfahren, bei denen zum Anfeuern der Hochöfen nicht mehr Koks, sondern Wasserstoff genutzt wird. Die Umstellung erfordert allerdings massive Investitionen.

Damit Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlagert werden, versprechen die Parteien von der Union bis zu den Grünen eine aktive Industriepolitik. Ein mögliches Instrument sind „Carbon Contracts for Difference“, also vertraglich zugesicherte staatliche Investitionen in klimaneutrale Produktionsprozesse. Sollte es keinen weltweiten CO2-Preis geben, wird auch darüber debattiert, wie die heimische Industrie im internationalen Wettbewerb geschützt werden kann.

Der Ausstoß von Treibhausgasen soll auch beim Wohnen und in Bürogebäuden reduziert werden. Spannend für Mieter:innen ist dabei die Frage, in welchem Umfang Vermieter:innen für die energetische Sanierung aufkommen müssen.

Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass der neu eingerichtete Expert:innenrat für Klimafragen ab dem Jahr 2022 alle zwei Jahre ein Gutachten zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen vorlegen und dabei auch die Wirksamkeit von Maßnahmen prüfen soll.

Aus Sicht von Umweltverbänden reichen die nun vorgelegten Ziele nicht aus, um den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür seien 70 Prozent CO2-Einsparungen bis 2030 notwendig und nicht die von der Bundesregierung angestrebten 65 Prozent, sagt WWF-Expertin Raddatz. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hingegen sprach von einem "fairen Angebot" an künftige Generationen. Zum ersten Mal werde beim Klimaschutz „der anstrengendste Teil nicht in die ferne Zukunft verschoben“.

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