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Nach langem Streit: Deutsche Kriegsgräberstätte in Tschechien eingeweiht

Im Schatten alter Bäume reiht sich ein Granitkreuz ans nächste - viele tragen keinen Namen. 5600 deutsche und tschechische Kriegstote liegen seit kurzem auf dem neuen Soldatenfriedhof im tschechischen Cheb.

Eine Erkennungsmarke der Wehrmacht und ein paar Briefe. Das ist alles, was Ida Wurzenberger von ihrem Schwiegervater geblieben ist. Michael Wurzenberger hat den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt. Der Gefreite starb 38-jährig im April 1945 bei einem Gefecht bei Kolin in Mittelböhmen. Wer er war und wie er gelebt hat, weiß die Münchnerin nur aus den Erzählungen ihres verstorbenen Mannes. 65 Jahre nach dem Tod des Schwiegervaters steht die 69-Jährige nun zum ersten Mal an seinem Grab und weint. „Es ist schön für mich zu wissen, dass mein Schwiegervater hier jetzt endlich seine letzte Ruhe gefunden hat“, sagt Ida Wurzenberger.

Im hinteren Teil des Friedhofs von Cheb in Tschechien reiht sich im Schatten alter Eichen und Birken ein Granitkreuz ans nächste. 5600 deutsche und tschechische Kriegstote liegen erst seit kurzem auf dem neuen Soldatenfriedhof der Stadt begraben – kahle Stellen zwischen den Grabsteinen zeugen davon, dass man vor nicht allzu langer Zeit mit den Umbettungen fertig geworden ist. Viele Kreuze tragen keinen Namen: Von den Toten, die hier begraben sind, konnten nur 2700 identifiziert werden. Und auch nicht nur deutsche Soldaten haben auf dem Friedhof unweit der Grenze zu Bayern ihre letzte Ruhestätte gefunden: Unter den Bestatteten sind auch 473 deutsche und tschechische Zivilisten. Es ist die größte deutsche Kriegsgräberstätte auf tschechischem Gebiet.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), der für die Pflege deutscher Gräber im Ausland zuständig ist, hatte sich jahrelang für die zentrale deutsche Kriegsgräberstätte auf tschechischem Boden eingesetzt. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten Mitarbeiter des Verbandes die sterblichen Überreste von Tausenden deutschen Kriegstoten auf dem Staatsgebiet der Tschechischen Republik geborgen – ohne Klarheit darüber zu haben, was aus ihnen wird. Deutschland hat mit der Tschechischen Republik im Gegensatz zu anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks kein Kriegsgräberabkommen geschlossen. Diese bilateralen Verträge regeln die Zuständigkeit für die Anlage und Pflege von Kriegsgräbern im Ausland. Auch wollte lange Zeit keine tschechische Gemeinde ihren Boden für die Bestattung der ehemaligen Besatzer aus dem Zweiten Weltkrieg hergeben. Die Stadt Cheb war im Herbst 1938 von deutschen Truppen besetzt worden und gehörte bis 1945 zum Deutschen Reich. Nach Kriegsende wurde die Stadt wieder tschechisch – der größte Teil der deutschstämmigen Bevölkerung aufgrund der Benes-Dekrete enteignet und vertrieben.

Anfang dieses Jahrzehnts wollte der Volksbund die Überreste der Toten noch auf einem Friedhof im Prager Stadtteil Strasnice beerdigen. Auf dem Gelände hatten die deutschen Protestanten Prags bis zu ihrer Vertreibung 1945 ihre verstorbenen Angehörigen begraben. Doch das Vorhaben scheiterte am fehlenden Geld – für den Umbau des Geländes wären rund 2,5 Millionen Euro nötig gewesen, die der Volksbund zum damaligen Zeitpunkt nicht aufbringen konnte. Im Jahr 2006 kam es in der Angelegenheit gar zum deutsch-tschechischen Eklat, als eine tschechische Tageszeitung enthüllte, dass die vom VDK exhumierten Überreste der Toten jahrelang in einer Armaturenfabrik in Usti (Nordböhmen) in Pappkartons gelagert wurden. Danach kamen die Gebeine in die Obhut der tschechischen Armee in der Nähe von Pilsen.

Dass die deutschen Kriegstoten am Stadtrand von Cheb nun doch noch eine dauerhafte Ruhestätte gefunden haben, sei vor allem das Verdienst des Oberbürgermeisters der Stadt, sagt VDK-Präsident Reinhard Führer. „Er hat Mut bewiesen“, lobt er. „Am Anfang gab es gegen das Projekt massiven Widerstand.“ So wollten Kritiker der Kriegsgräberstätte durch eine Unterschriftenaktion eine Volksbefragung erzwingen, um den Friedhof zu verhindern. „Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen“, sagt Chebs Oberbürgermeister Jan Svoboda. „Viele konnten sich einfach nicht vorstellen, dass der Vater oder die Großmutter bald neben Faschisten begraben sein sollen“, sagt Svoboda. „Dabei befiehlt es der gesunde Menschenverstand, die Toten des Krieges – gleich welcher Nationalität - an einem würdigen Ort zu bestatten.“ Womöglich hat die Kritiker besänftigt, dass der Volksbund nicht nur knapp 600 000 Euro in den deutschen Soldatenfriedhof investiert hat. 900 000 Euro flossen zusätzlich in die Instandsetzung des zivilen Stadtfriedhofs, der sich einige Hundert Meter von der deutschen Kriegsgräberstätte entfernt befindet. Ida Wurzenberger ist einfach nur dankbar. Dankbar dafür, dass ihr Schwiegervater nun ein Grab hat. Einen Ort, an den sie zurückkehren kann, wenn sie es möchte.

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