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Politik: Nächste Seite im Pflichtenheft

Von Ursula Weidenfeld

Einen höheren politischen Einsatz hat kaum ein Projekt seit der Wiedervereinigung gekostet. Die Regierung von Gerhard Schröder hat für die Hartz-Reformen einen Teil ihrer Amtszeit – und die Macht – geopfert. Als Partei ist die SPD über die Agenda 2010 in ihre bisher tiefste Identitätskrise gestürzt. Und die Linkspartei verdankt den Arbeitsmarktreformen den größten Teil ihres rasanten Aufstiegs in Ost- und Westdeutschland. Das alles soll nun vergebens gewesen sein? Wenn man die Äußerungen der Unionsparteien richtig interpretiert, dann verbergen sich dahinter zwei Botschaften. Die eine ist die Ansicht, dass die Hartz-Reformen nichts taugen. Die andere ist die Hoffnung, die politischen Folgekosten für diese Erkenntnis der SPD aufbürden zu können. Weder im einen noch im anderen Fall wird dieses Kalkül aufgehen. Denn erstens waren die Reformen nicht falsch, und zweitens wird die SPD keineswegs bereit oder auch nur in der Lage sein, die Reform-der-Reform-Arbeit alleine zu schultern. Das Prinzip der Hartz-Reformen muss verteidigt, ihre Ausführung verbessert und Fehlentwicklungen müssen schnell gestoppt werden. Und zwar von beiden Parteien – wenn diese Koalition noch ein paar Jahre halten soll.

Einig sind sich CDU und SPD nur darin, dass die Transferleistungen auf dem Arbeitsmarkt zu viel kosten. Auch wenn insgesamt nicht mehr Geld als in der Zeit vor der Reform ausgegeben wird, so kostet die Reform doch mehr, als im Bundeshaushalt vorgesehen ist. Deshalb stehen die Revisions-Befürworter bei den Sozialdemokraten immer unter dem Generalverdacht, dass hier Geld bei den Bedürftigsten gespart werden soll – damit am anderen Ende der Skala so etwas wie eine Unternehmenssteuerreform bezahlt werden kann. Dabei sind es nicht zuerst die finanzpolitischen Folgen der Arbeitsmarktreform, die bei der Bewertung bedacht werden müssen. Ist die Reform im Kern vernünftig, würde man eine kurzfristige Mehrbelastung des Haushalts in Kauf nehmen. Viel wichtiger ist zu prüfen, was die Reformen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich angerichtet haben. In Ostdeutschland haben sie strukturell dazu geführt, dass der Arbeitsmarkt im Dienstleistungsbereich nur noch ein Teilzeitmarkt ist – weil die Kombination von Minijob und Transfereinkommen in aller Regel ein gleichwertiges Einkommen zu einer Vollzeitstelle garantiert. Im Westen verläuft die Entwicklung nicht ganz so krass, aber in dieselbe Richtung.

Das sind Fehlentwicklungen, die abgestellt werden müssen. Über das Wie scheint nun jedoch derselbe zermürbende Streit neu auszubrechen, der schon die Ursprungsreform geprägt und am Ende verunstaltet hat. Auf der einen Seite wird so getan, als ginge es um die Enteignung der Ärmsten. Und auf der anderen wird nassforsch dekretiert, die Transfers seien schlicht zu hoch. Beides stimmt so nicht. Pauschale Leistungskürzungen wären für die Sozialdemokraten gleichbedeutend mit einem Selbstauflösungsbeschluss. Deshalb wirbt Arbeitsminister Franz Müntefering nahezu verzweifelt für einen anderen Weg: Niemandem wird etwas weggenommen, wenn er wirklich bedürftig ist. Wer sich aber verhält, als habe er die freie Auswahl zwischen regulärer Arbeit und Hartz IV oder einer Kombination von beidem, der soll mit Sanktionen zu der Einsicht bekehrt werden, dass die Arbeitsaufnahme keine freie Entscheidung, sondern Teil des Pflichtenheftes für Arbeitssuchende ist.

Jenseits aller politischen Taktik: Müntefering hat Recht.

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