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Politik: Nationalistischer denn je

Heute stimmen die Serben über ihr Parlament ab – den Wahlkampf bestimmte der Streit um das Kosovo

Der Stacheldraht auf der Austerlitz-Brücke ist eingerollt, der letzte Wahlkampftross aus Belgrad endlich abgereist. Lächelnd posieren in der Abenddämmerung zwei Soldaten der Kfor-Truppe für ein Erinnerungsfoto auf der Gemarkung zwischen dem albanischen Süden und dem serbischen Norden von Kosovska Mitrovica. Nur am Nordufer prangen dicke Schichten von Wahlkampfplakaten auf dem blätternden Putz der grauen Häuserfassaden.

Am Sonntag wird in Serbien gewählt. Und nicht zuletzt im Wahlkampf wurde deutlich, dass die derzeitigen Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo, der südserbischen Provinz, auf einen offenen Konflikt zwischen der Staatengemeinschaft und Serbien zusteuern.

Die Radikalen seien „gar nicht so extrem“, bekennt sich der Besitzer des Lebensmittel-Geschäfts unweit der Austerlitz-Brücke als ein Sympathisant der serbischen Nationalisten. Doch eigentlich sei ihm egal, wer am Sonntag die Wahl gewinne, beteuert der zahnlose Alte: „Hauptsache, sie geben Kosovo nicht her.“

Auch in der geteilten Stadt überschattet der nach dem Urnengang erwartete Vorschlag des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari zum künftigen Status des Kosovo den Stimmenstreit. Vermutlich wird der Finne für eine Art international „überwachte Unabhängigkeit“ des zu über 90 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo plädieren – und stößt damit bei Serbiens Wahlkämpfern schon jetzt auf nahezu einstimmigen Widerspruch.

Kosovo sei ein unabänderlicher Teil Serbiens, übt sich vor allem der konservative Premier Vojislav Kostunica in der Rolle des kompromisslosen Vaterland-Verteidigers. Selbst die größte demokratische Oppositionspartei, die von Präsident Boris Tadic geführte DS, pocht auf die territoriale Integrität des Landes – auch wenn sie sich im Wahlkampf zum Kosovo weitgehend ausschweigt.

Lediglich das kleine Wahlbündnis um den früheren Studentenführer Cedomir Jovanovic spricht sich offen dafür aus, die Trennung von der unter internationaler Verwaltung stehenden Provinz zu akzeptieren: Faktisch sei das Kosovo ohnehin seit 1999 unabhängig. Doch die Verbreitung derart unbequemer Wahrheiten ist knapp vier Jahre nach der Ermordung von Premier Zoran Djindjic in Serbien offenbar noch immer so riskant wie damals. Nur dank eines aufmerksamen Portiers konnte in der Nacht zum Samstag in Belgrad ein Anschlag auf Jovanovic verhindert werden: Rechtzeitig entschärfte die Polizei die von ihm bemerkte Sprengstoffladung unter dem Fahrzeug des Oppositionspolitikers.

Heerscharen von EU-Politikern geben sich derzeit in Belgrad die Klinke in die Hand, um die Serben zu einer Stimmabgabe für demokratische Kräfte zu mahnen. Die erhoffte einvernehmliche Lösung in der Frage einer Unabhängigkeit des Kosovo hält Bratislav Grubacic, Chefredakteur des VIP-Nachrichtendienstes, wegen der „Mystifizierung“ des Themas allerdings nicht für möglich. „Jahrelang hat es kaum einer unserer Politiker gewagt, den Leuten zu sagen, dass wir 1999 den Krieg verloren haben“, erklärt er das Phänomen, dass sich die meisten Serben von der internationalen Gemeinschaft ungerecht behandelt fühlten: „Und dieses Gefühl wird von Premier Kostunica leider gefüttert.“

Mit der „Monopolisierung des Kosovo-Themas“ habe Kostunica den Radikalen einige Prozentpunkte abgeluchst, sagt Marko Blagojevic, der Chef des Meinungsforschungs-Instituts Cesid: Sein Kalkül paare sich allerdings mit „echter Überzeugung“. Den Umfragen seines Instituts zufolge klaffen hingegen bei den Wählern Wünsche und Erwartungen weit auseinander. So sprechen sich zwar 45 Prozent für den vorbehaltlosen Erhalt der Landesgrenzen aus. Doch nur 15 Prozent erklären, dies auch zu erwarten.

Italienische Schmachtfetzen schallen über die Austerlitzbrücke aus dem Cafe „Dolce Vita“. Die Kosovo-Frage werde von den Politikern „leider missbraucht“, klagt in der populärsten Kneipe von Nord-Mitrovica der Serben-Führer Oliver Ivanovic. An „starken Statements“ habe es im Wahlkampf nicht gemangelt: „Doch serbisch sind hier nicht die Berge und Wälder, sondern die Menschen. Die Leute sollten keine Geschichten erzählen, sondern uns praktisch helfen.“ Schon der von Belgrad erzwungene Boykott der Kosovo-Wahlen 2004 sei ein Fehler gewesen: „Wir haben uns damit aus dem politischen Leben im Kosovo nur ausgeschlossen.“ Er fürchte, dass alles „zu schnell“ über die Bühne gehe – und neue Spannungen entstehen könnten, sagt er mit einem Achselzucken: „Doch die Welt hat vom Kosovo genug. Sie will so rasch wie möglich hier rauskommen.“

Thomas Roser[Kosovska Mitrovica]

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