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Politik: „Natur ist das Kapital der Armen“

Klaus Töpfer, scheidender Chef des UN-Umweltprogramms, erklärt, warum Klimawandel kein Luxusproblem ist – und wieso er Berlins CDU einen Korb gab

Herr Töpfer, Ende des Monats läuft Ihre Amtszeit als Direktor des UN-Umweltprogramms Unep in Nairobi nach acht Jahren aus. Wie viel Zeit haben Sie in dieser Zeit im Flugzeug verbracht?

Ich habe es nicht ausgerechnet. Aber ich habe viele Nächte im Flugzeug verbracht. Das war eine der härtesten Belastungen, die dieser Beruf mit sich gebracht hat. Wenn man den Hauptsitz in der Mitte Afrikas hat, aber eine globale Organisation leitet, lässt sich das viele Reisen nicht vermeiden. Ich habe wirklich dafür zu danken, dass ich offenbar die körperlichen Voraussetzungen habe, um im Flugzeug ohne Medikamente gleich einzuschlafen.

Was werden Sie vermissen, wenn Sie den Posten als Chef des Unep in Kenia demnächst verlassen?

Ich werde Freunde in allen Schichten dieser Gesellschaft zurücklassen müssen. Ich war erst am Sonntag in einem der Slums von Nairobi in Korogocho direkt neben der riesigen Mülldeponie, die da vor sich hinschwelt, und bin dort in einem Gottesdienst gewesen. Das sind Erlebnisse und Eindrücke, die man nirgendwo anders haben kann und die einen auch wachrütteln. Ich lebe hier in einer Stadt, die so groß ist wie Berlin, und in der mehr als 60 Prozent der Menschen in Slums leben. Es ist großartig zu sehen, mit wie viel Heiterkeit und Zusammenhalt Menschen auf solch unwürdige Verhältnisse reagieren. Das werde ich vermissen. Niemand geht leichten Herzens aus Afrika weg. Ich werde die Offenheit dieses herrlichen Kontinents vermissen. Das sind aber auch die großen Chancen, die dieser Kontinent hat, und die die Welt braucht.

Was waren Ihre wichtigsten Entscheidungen beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen?

Zunächst einmal die Entscheidung, hierher zu kommen. Das Hauptquartier der UN in Nairobi bewegte sich vor acht Jahren auf den Bankrott zu. Es war wirklich gefährdet. Es war für die Vereinten Nationen eine große Herausforderung, zu beweisen, dass wir in diesem Land ein Hauptquartier effizient organisieren können, nicht nur in New York, Genf oder Wien. Das war wichtig. Strategisch wichtig war die Entscheidung, die Arbeit von Unep darauf zu konzentrieren, den Zusammenhang zwischen Umwelt und Entwicklung herzustellen. Umwelt ist nicht das Luxusgut, das sich nur die Reichen leisten können. Wir müssen die Umwelt gerade als Existenzgrundlage für die Armen sichern. Außerdem haben wir uns entschieden, unsere Arbeit nicht mehr nur international auszurichten. Wir haben Konventionen erarbeitet, und tun das auch weiter. Aber in der Umsetzung vor Ort waren wir nicht mehr verfügbar. Nun haben wir es erreicht, dass wir für die Ausbildung vor Ort eine Mitverantwortung übernommen haben und auch für den Transfer von Technologien zuständig sein können. Das ist eine zentrale Erweiterung des Selbstverständnisses von Unep.

Damit haben Sie Unep vermutlich vor der völligen Bedeutungslosigkeit bewahrt …

Wir stehen vor einer völligen Neubewertung der Umweltpolitik. Das gilt vor allem für die Länder, die sehr schnell wachsen wie China oder Indien. Die sehen immer deutlicher, dass es für dieses Wachstum Naturkapital so nötig braucht wie Finanzkapital und menschliches Kapital. Der Klimawandel ist nicht eine Marginalie, die die Artenvielfalt gefährdet, sondern bei den Auswirkungen geht es um das nackte Überleben. Können wir das wirklich verantworten, unsere Umweltlasten auf andere abzuwälzen? Diese Debatte wird inzwischen nicht mehr künstlich geführt, sondern sie ist im Zentrum der Auseinandersetzungen und der Suche nach Lösungen. Ich glaube, wir sind hier ein Stück vorangekommen.

Unep ist ein UN-Programm und muss sich seinen Etat jedes Jahr bei den Mitgliedstaaten zusammenbetteln. Sie waren dabei recht erfolgreich. Trotzdem: Haben Sie noch Hoffnung, dass im Zuge der Reform der Vereinten Nationen eine UN-Umweltorganisation geschaffen wird, die an die Stelle des Unep treten könnte?

Ich bin der Überzeugung, dass die UN-Reform intensiv vorangetrieben wird. Gerade erst hat UN-Generalsekretär Kofi Annan der Generalversammlung eine Managementreform vorschlagen, die große Veränderungen mit sich bringen wird. Es soll künftig nicht mehr nur einen UN-Sicherheitsrat geben, sondern auch einen Menschenrechtsrat, …

… den die USA gerade verhindern wollen…

Ich gehe trotzdem davon aus, dass er zu Stande kommen wird. Auch wenn sich die meisten Staaten mit Ausnahme der USA eben bisher nur auf eine zweitbeste Lösung geeinigt haben. Aber zurück zu Unep. Ich glaube, die UN-Vollversammlung hat eine sinnvolle Entscheidung getroffen, als sie festgestellt hat, dass wir bei der Bewältigung der verschiedenen Umweltprobleme zu fragmentiert sind. Es gibt eine Vielzahl von rechtlich unabhängigen Konventionen – Klima, Artenvielfalt, wandernde Tierarten, Wüsten und so weiter. Das müssen wir besser zusammenzubringen, um die Politik auch besser beraten zu können. Ich denke, die Form folgt der Funktion, und die ergibt sich aus dieser Aufgabe. Natürlich hätte eine UN-Organisation einige Vorzüge. Aber um das Budget müssen Sie dann auch kämpfen.

Stichwort Klimawandel: Da hat auch Afrika unter Folgewirkungen zu leiden, die es nicht zu verantworten hat.

Es hat immer wieder Dürren in Afrika gegeben und daraus resultierend Hungersnöte. Aber der Klimawandel führt dazu, dass wir solche Situationen immer öfter, immer extremer und mit immer katastrophaleren Folgen haben. Nehmen Sie Kenia: Das Land ist seit der Unabhängigkeit 1961 von sieben Millionen Einwohnern auf etwa 34 Millionen Einwohner gewachsen. Es gibt viel mehr Druck in Naturbereiche hinein, die nur schwer mehr ertragen können – vor allem, wenn die traditionellen Wirtschaftsformen fortgeführt werden. Deshalb muss man jetzt unbedingt helfen, um Menschen vor dem Verhungern zu retten. In der gesamten Region sind elf Millionen Menschen gefährdet. Jetzt muss geholfen werden. Aber längerfristig ergeben sich ganz neue politische Aufgaben aus der Krise. Kenia ist ein Land mit einem Waldanteil von gerade mal noch zwei Prozent. Die Landnutzung ändert sich unter anderem, weil der Weltkaffeepreis so massiv gefallen ist, dass die Kaffeeterrassen inzwischen nicht mehr bewirtschaftet werden. Die Folge ist eine massive Erosion. Es gibt in Kenia einen großen Staudamm, der in den achtziger Jahren gebaut wurde. Er hat bis heute 30 Prozent seiner Kapazität verloren, weil Sedimente eingespült werden. In anderen Regionen findet ein Übergrasen der Böden statt, mit derselben Folge: Erosion und Verlust der Böden. All das trägt dazu bei, Dürrephasen in ihren Auswirkungen weiter zu verschlimmern. Deshalb sage ich auch: Das beste Hauptquartier, das wir haben können, ist in Nairobi, in der Mitte Afrikas. Denn hier können wir genau sehen, warum wir eine internationale Umweltpolitik brauchen. Natur ist das Kapital der Armen. Und wenn wir durch von den Industrieländern ausgelöste Klimaänderungen dieses Kapital aufzehren, ist das eine ökologische Aggression. Das hört niemand gern, ist aber so. Wir wälzen unsere Wohlstandskosten auf andere ab und wundern uns, wenn die zurückkommen und uns sagen: Hier ist eine Hungersnot. Oder tausende Afrikaner versuchen, über das Mittelmeer irgendwie nach Europa zu gelangen. Das ist auch eine ethische Frage.

Viele Menschen in Deutschland freuen sich auf das Ende Ihrer Amtszeit und haben Ihnen eine Vielzahl von Angeboten gemacht, was Sie künftig mir Ihrer Freizeit anfangen könnten.

Die Entscheidung, in Berlin nicht als Kandidat der CDU für das Bürgermeisteramt zur Verfügung zu stehen, ist mir nicht leicht gefallen. Sie ist schmerzlich für mich, weil ich damit viele enttäuscht habe. Ich habe das aus zahlreichen Gründen nicht gemacht. Ich bin vor acht Jahren bewusst aus der Politik herausgegangen zu den Vereinten Nationen. Nach acht Jahren mit ganz anderen Erfahrungen bin ich nicht mehr der, der ich war, als ich nach Nairobi ging. Sicherlich hat sich auch die CDU in Berlin weiterentwickelt. Aber das ist natürlich keine Absage an Aktivität. Vielleicht schreibe ich ein Buch. Jedenfalls habe ich keine Angst, in ein großes schwarzes Loch zu fallen. Aber ich wäre auch dankbar, wenn ich – ich bin vor kurzem Großvater geworden – Zeit für meine Enkelin hätte und auch all die sozialen Kontakte wieder pflegen könnte, die ich acht Jahre lang sehr vernachlässigt habe. Das war ein hoher Preis. Leider muss ich Ihnen sagen, dass diese acht Jahre für meine skatspielerischen Qualitäten ein Tiefschlag waren. Skat ist ein so typisch deutsches Spiel. Außerhalb Deutschlands finden sich kaum Spielpartner. Ich hoffe, dass meine Freunde in Deutschland mich wieder auf den Stand bringen, damit ich da wieder aufholen kann.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

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