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Laut einer Forsa-Umfrage aus 2020 haben 55 Prozent der Deutschen schon einmal Erfahrungen mit der Verwendung homöopathischer Arzneimittel gemacht.

© Ralf Hirschberger /picture alliance

Der schöne Glaube an die Globuli: Naturmedizinische Verfahren sind in der Pandemie doppelt fragwürdig

Homöopathie ist die beliebteste Art der alternativen Heilmethoden. Dennoch sollten die Krankenkassen Globuli und Co. nicht mehr erstatten. Ein Kommentar.

Medikamente, welche die gesetzliche Krankenversicherung erstatten soll, müssen einen Nutzen nachweisen können. Zugleich geben die Krankenkassen jährlich aber auch mindestens 20 Millionen Euro für homöopathische Mittel aus, für deren Wirksamkeit es neben dem Placebo-Effekt keinerlei wissenschaftliche Belege gibt. Diese Summe ist zwar klein im Vergleich zu den 43,3 Milliarden für Medikamente mit wissenschaftlich nachgewiesenem Nutzen, aber das bedeutet: Auch wenn es wissenschaftlich nicht belegbar ist, dass diese Tabletten, Kugeln oder Tropfen wirken, werden sie bezahlt – einfach, weil die Patienten daran glauben.

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Dass ein solches Signal fatal sein kann, erweist sich in der Pandemie. Denn wer an anerkannten medizinischen Erkenntnissen zweifelt und eher auf Globuli setzt, der misstraut trotz des wissenschaftlichen Konsenses wohl auch eher der Corona-Impfung.

Das Regensburg Center of Health Science and Technology, eine fakultätsübergreifende Forschungseinrichtung der Technischen Hochschule Regensburg, fand in einer repräsentativen Befragung unter starkem Bezug auf die Homöopathie heraus: Je mehr man von alternativen Heilverfahren hält, desto geringer ist die Impfbereitschaft.

Anthroposophie spielte große Rolle bei Corona-Demonstrationen

Auf alternative naturmedizinische Heilverfahren setzt auch die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie. Dieser letztlich mystisch-esoterischen Weltanschauung, die auch an den Waldorf-Schulen gelehrt wird, geht es vor allem um die geistige Dimension der Welt. 

Dass die Anthroposophie in der Pandemie eine Rolle spielt, zeigt auch eine Studie zweier Wissenschaftler des soziologischen Instituts der Universität Basel zu Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen.

Sie untersuchten die zugrunde liegenden Motive der Proteste mit besonderem Blick auf Stuttgart, wo die Gruppe „Querdenken 711“ am Anfang der Pandemie die ersten Demonstrationen organisierte. Die Ergebnisse legen nahe, dass – anders als in Sachsen, dem zweiten Protest-Hotspot– , nicht rechtes Gedankengut die Demonstrationen beherrscht, sondern verstärkt anthroposophische Einstellungen. Ein Zusammenhang zwischen der Befürwortung naturmedizinischer Verfahren und der Ablehnung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ist offensichtlich.

Unterstützt wird die ablehnende Haltung gegenüber Vorsichtsmaßnahmen und konventionellen Medikamenten auch von der führenden deutschen Homöopathie-Organisation. Die Hahnemann-Gesellschaft, benannt nach dem Begründer dieser Behandlungsmethode, Samuel Hahnemann, behauptet auf ihrer Website, dass Lockdown-Maßnahmen das Infektionsgeschehen nicht beeinflussen, symptomlose Personen nicht ansteckend sind und Masken keinen effektiven Schutz vor dem Virus bieten. Das alles ist längst widerlegt.

Die sonst harmlose Homöopathie kann zu einem Risiko werden

Stärkt der Staat also zu seinem aktuell eigenen Schaden den Glauben an die impffeindliche alternative Medizin, wenn er diese weiter fördert und subventioniert – ganz direkt mit dem Geld der Krankenkassen und indirekt durch homöopathische Kurse? Kann sie zu der Annahme führen, sie habe auch bei der Vorbeugung und Behandlung einer Corona-Infektion ihre Daseinsberechtigung? Natürlich kann jeder glauben und zu sich nehmen, was er will. Aber diese Beispiele zeigen, dass dies nicht immer ohne Konsequenz für die anderen bleibt.

Die Krankenkassen sowie der Staat sollten ihre Verbindungen zur Homöopathie unter diesen Eindrücken dringend überdenken. Es wäre an der Zeit, sich komplett hinter die Wissenschaft zu stellen und den wissenschaftskritischen Anhängern der Homöopathie keine Rückendeckung zu geben.

Der französische Weg als Vorbild

Frankreich ist diesen Weg schon gegangen. Die französischen Krankenkassen erstatten seit 2019 keine homöopathischen Mittel mehr, und auch in Deutschland haben schon zwölf Ärztekammern die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus ihren Weiterbildungsordnungen gestrichen. Diesem Beispiel sollte weitere folgen.

Unter dem scheidenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fehlte der Wille, die Homöopathie ins Visier zu nehmen. Mit der neuen Regierung und einem neuen Gesundheitsminister, den die SPD stellen wird, könnten nun aber weitere Schritte gegangen werden.

Lediglich die Grünen könnten diesem Vorhaben im Weg stehen. Die Öko-Partei hat ihre eigene Geschichte mit Homöopathie. Lange gab es für Globuli und Co. eine breite Unterstützung und bis heute trennt sich die Mitgliederschar in Homöopathie-Freunde und -Kritiker. Das wird zusehends seltsamer für eine Partei, die beim Klimawandel immer darauf hinweist, man müsse auf die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse hören. Auch deshalb sollten die Grünen sich einen Ruck geben und in der Einordnung der Homöopathie über ihren eigenen Schatten springen.

Marc Tawadrous

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