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Politik: Neue Beweglichkeit

Die Union hat viel an der Gesundheitsreform von Rot-Grün auszusetzen – aber Merkel gibt sich verhandlungsbereit

DIE DISKUSSION ÜBER DIE GESUNDHEITSREFORM

Zumindest der Tonfall ist versöhnlicher geworden: Das Angebot ihres SPD-Kollegen Franz Müntefering, bereits im Bundestag zu einem Kompromiss in der Gesundheitsreform zu finden, hat Unions-Fraktionschefin Angela Merkel nicht abgelehnt. Die Gesundheitsexperten beider Seiten könnten „sofort, heute, nach der Debatte“ mit den Gesprächen beginnen, sagte Merkel am Mittwoch bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. SPD-Fraktionschef Müntefering hatte vorher angemahnt, Regierung und Opposition seien „aufeinander angewiesen“, wenn die Gesundheitsreform „etwas Gutes“ werden solle.

Sind Regierung und Opposition tatsächlich aufeinander zugegangen? Auf den Fluren des Reichstags drehte sich nach der Debatte alles nur um die eine Frage: War Merkels Bereitschaft zur Kooperation nur eine gut inszenierte Show oder tatsächlich ein ernsthaftes Angebot? In Kreisen der rot-grünen Koalition hieß es skeptisch, die Worte der Oppositionsführerin seien doch sehr „verschwiemelt“ gewesen. Merkel habe die Regierung erst einmal hinhalten wollen.

In der Sache gibt es zwischen Rot-Grün und der Union noch jede Menge Differenzen – vor allem bei der geplanten Reform der Strukturen im Gesundheitswesen. Knackpunkte für die Opposition sind das Qualitätsinstitut, das Empfehlungen für die Bewertung von Arzneimitteln geben soll. Merkel lehnte es als „zentralistisch“ und „dirigistisch“ ab. Außerdem will die Union die geplante Positivliste für Arzneimittel stoppen, die bereits auf den Weg gebracht ist. Ablehnend steht die Union auch dem Wettbewerb gegenüber, den die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorsieht: Ein Apotheker soll in Zukunft mehrere Filialen betreiben können; der Versandhandel von Medikamenten über das Internet soll zugelassen werden. Fachärzte sollen in Zukunft Einzelverträge mit Krankenkassen abschließen können. Bei neu zugelassenen Medizinern soll der Ausstieg aus dem Kollektivsystem sogar Pflicht werden.

„Es ist doch nicht Aufgabe des Staates, einen Schutzzaun um alle Kartelle zu bauen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Krista Sager. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) forderte ebenfalls, dass sich „alle Akteure im Gesundheitswesen“ bewegen müssten. Die Lasten dürften nicht alleine den Versicherten und den Kranken aufgebürdet werden, forderte die Ministerin.

Umgekehrt liegt der Union viel daran, den Zahnersatz zu privatisieren – in einer obligatorischen Zusatzversicherung, die rund 7,50 Euro kosten soll. Dabei geht es CDU und CSU um den Einstieg in einen Systemwechsel: Merkel kündigte an, diesen „Instrumentenkasten jetzt erproben“ zu wollen. Intern denkt die Union bereits über weitere Privatisierung nach: Die Kommission unter Leitung des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog debattiert etwa über eine Privat-Police für die gesamte Zahnbehandlung oder auch die Absicherung von Privatunfällen.

Die Grünen-Gesundheitsexpertin Biggi Bender warnte davor, das Solidarsystem „nur noch als Fassade“ zu erhalten. SPD und Grüne setzen auch auf eine stärkere Belastung der Versicherten, denen sie die Finanzierung des Krankengeldes übertragen wollen, allerdings innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Höhe des Beitrags soll sich nach dem Einkommen richten.

Sollten Rot-Grün und die Union sich nicht im Bundestag auf ein gemeinsames Konzept einigen können, so werde die Regierung Teile des Gesetzes mit eigener Mehrheit durchsetzen, kündigte SPD-Fraktionschef Müntefering an. Das Gesundheitsministerium arbeitet an einem Entwurf, der nicht auf den Bundesrat angewiesen wäre.

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