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Update

Neue Massenproteste in Ägypten: Demonstranten attackieren Absperrung vor Präsidentenpalast

In Ägypten wächst die Nervosität. In Kairo und Alexandria wollen wieder Tausende Menschen gegen das Referendum über eine neue Verfassung demonstrieren. Bleiben die Proteste diesmal gewaltfrei, wie es die Organisatoren planen? .

Im ägyptischen Verfassungsstreit haben sich Islamisten und ihre politischen Gegner auf einen neuen Schlagabtausch vorbereitet. Den Ausbruch neuer Gewalt wollen sie aber vermeiden. Die Gegner von Präsident Mohammed Mursi trafen am Dienstagnachmittag in Kairo und Alexandria Vorbereitungen für Massenproteste gegen das an diesem Samstag geplante Verfassungsreferendum. Die Organisatoren erklärten, sie hätten die Routen für ihre Protestmärsche so gewählt, dass Zusammenstöße mit den Islamisten vermieden würden. Die Islamisten versammelten sich unterdessen in Kairo in zwei Moscheen zu Solidaritätskundgebungen für Mursi.
Vor dem Referendum über einen von den Islamisten formulierten Verfassungsentwurf sind sich die Richter nach wie vor uneins. Nach Angaben aus Justizkreisen entschieden sich einige Berufsverbände für einen Boykott. Andere, unter ihnen der Verband der Richter des Staatsrates, erklärte sich bereit, den Urnengang zu überwachen.
In der Stadt Luxor hatten die Islamisten bereits am Montagabend demonstriert. Sie riefen: „Das Volk will die Einführung der Scharia.“ Außerdem forderten sie die Passanten auf, bei der Volksabstimmung am Samstag für die Verfassung zu stimmen. Die säkularen Parteien in der südlichen Stadt Assiut beschlossen, ihre für den Abend geplante Protestaktion um einen Tag zu verschieben. Nach Angaben lokaler Medien wollen sie damit gewaltsame Zusammenstöße mit dem politischen Gegner vermeiden.
Bei einer Schießerei auf dem von Demonstranten besetzten Tahrir-Platz in Kairo wurden am frühen Morgen neun Menschen verletzt. Staatliche Medien berichteten, nach einem Streit zwischen Demonstranten und Straßenhändlern seien Schüsse gefallen. Das Nachrichtenportal „youm7“ meldete, ein Islamist sei an den Folgen von Verletzungen gestorben, die er sich bei der Straßenschlacht zwischen Mursi-Gegnern und Muslimbrüdern vor dem Präsidentenpalast am Mittwoch vergangener Woche zugezogen hatte.

Vor dem Palast, der das Ziel einiger Demonstrationszüge von Mursi-Gegnern ist, erhöhten die Sicherheitskräfte eine Mauer, die das Gebäude schützt. Zu den Aktivisten, die zum Palast marschieren wollen, gehört auch eine Gruppe von Frauenrechtlerinnen. Diese wollen in schwarzer Kleidung marschieren und mit Töpfen Krach machen. Rund 200 Demonstranten versuchten, die Absperrungen vor dem Präsidentenpalast zu durchbrechen. Hunderte Soldaten hinderten sie daran und sicherten die Metallabsperrungen und eine aus Betonblöcken gebildete Mauer vor dem Palast. Zum Einsatz von Gewalt kam es nicht. Mursi hatte die Armee am Montag per Dekret mit Polizeibefugnissen ausgestattet: Sie darf nun Zivilisten festnehmen und soll die Polizei unterstützen.

Die ägyptische Staatskrise hatte bereits am 22. November ihren Anfang genommen als Mursi per Dekret verkündete, seine Entscheidungen und die verfassungsgebende Versammlung seien vor Gericht nicht anfechtbar. Zwei Tage später riefen Richter und Staatsanwälte zu einem landesweiten Streik auf. Trotz der Widrigkeiten wurde in aller Eile am 29. November ein Verfassungsentwurf vorgestellt, der am 15. Dezember zur Abstimmung stehen soll. Wegen der Übermacht und Kompromisslosigkeit der islamistischen Muslimbruderschaft in der verfassungsgebenden Versammlung hatten sich liberale Kräfte aus Protest aus dem Gremium zurückgezogen.

Die Demonstranten fürchten eine zu religiös geprägte Verfassung, die durch ihre schwammigen Formulierungen die Diskriminierung von Minderheiten und Frauen im Land befördern könnte. Nach der jahrzehntelangen Herrschaft des gestürzten Präsidenten Mubarak, der über 30 Jahre lang mit „Notstandsgesetzen“ regierte, wird Mursis Machtausweitung per Dekret besonders misstrauisch gesehen. Auf Druck der Straße zog Mursi am 9. Dezember seinen umstrittenen Erlass dann auch zurück. Ob die Wahlen am Samstag jedoch wie geplant stattfinden können, ist weiter offen. Die Opposition ist sich uneins, ob sie die Abstimmung über die Verfassung boykottieren soll, oder dazu aufruft, dagegen zu stimmen.

Der Sender Al Jazeera meldet indes, die Richter, die eine solche Wahl beaufsichtigen müssten, hätten bereits angekündigt, ihren Streik unter bestimmten Bedingungen zu beenden. Sie forderten allerdings, dass die Anhänger Mursis ihre Belagerung des Obersten Gerichtshofes zuvor beenden.

Die Staatskrise wirkt sich mittlerweile auch verheerend auf die ohnehin schwer angeschlagene ägyptische Wirtschaft aus. Premierminister Hesham Qandil hat am Dienstag angekündigt, den Internationalen Währungsfonds um einen Aufschub der Verhandlungen über Hilfskredite in Höhe von insgesamt 3,7 Milliarden Euro zu bitten. Ursprünglich hätten die Verträge am 19. Dezember abgeschlossen werden sollen. Finanzminister Mumtaz al-Saeed erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu, zunächst müsse das wirtschaftliche Programm ausgearbeitet sein, an das die Kredite gekoppelt seien. In der jetzigen politischen Lage ist daran jedoch kaum zu denken. Derweil liegt die ägyptische Wirtschaft am Boden. Seit der Revolution brach mit dem Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige fast komplett weg und ausländische Investoren zögern ob der unsicheren Situation im Land. Im Haushaltsjahr 2012/2013 weist Ägypten daher ein Defizit von rund 21 Milliarden Euro aus.

Der Streit um die Verfassung und die umstrittenen Dekrete Mursis verschärft die Lage zusätzlich.  Zuletzt hatte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) deutsche Hilfszahlungen von 100 Millionen Euro jährlich davon abhängig gemacht, dass Ägypten zu demokratischen Reformen zurückkehrt. Auch der Internationale Währungsfonds hatte gewarnt, die Hilfen andernfalls überdenken zu wollen. (mit dpa)

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