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Neue Regeln für Polizei-Datenspeicher: Warum das BKA-Gesetz in Teilen gekippt wurde
Das Bundesverfassungsgericht hat Befugnisse des Bundeskriminalamts beanstandet - und das Weiterverarbeiten von Personendaten strikt begrenzt
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Das Bundeskriminalamt (BKA) mit Sitz in Wiesbaden soll die Polizeiarbeit der Länder koordinieren und Terrortaten verhüten. Seit Dienstag steht fest: Es darf nicht alles, was der Gesetzgeber ihm bisher erlaubt hat. Nach einem Urteil zum BKA-Gesetz von 2016 hat das Bundesverfassungsgericht jetzt ein weiteres Mal Eingriffsbefugnisse der Polizeibehörde beanstandet.
Dieses Mal ging es vor allem um die Weiterverarbeitung von Daten in den BKA-Datenbanken sowie im sogenannten polizeilichen Informationssystem auf Basis von „Inpol“, einer vom BKA betriebenen Verbunddatei, die alle Polizeibehörden in Bund und Ländern für ihre Ermittlungen nutzen. Zudem hatten die Richterinnen und Richter des Ersten Senats die heimliche Überwachung von Personen zu prüfen, die mit Terrorverdächtigen Kontakt hatten.
Klage kam von der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“
Verfassungsbeschwerde erhoben hatten Vertreter der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“, einer Aktivisten-Organisation, die sich mit strategischen Klagen gegen eine aus ihrer Sicht übergriffige Sicherheitspolitik zur Wehr setzt.
Der Senatsvorsitzende und Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth machte in der Urteilsbegründung einmal mehr deutlich, an welchem Maßstab sich das Gericht hier orientiert: Verhältnismäßigkeit; die ausgewogene Wahl der Mittel im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Schutz der Bevölkerung.
Im Ergebnis sind zwei der angegriffenen Vorschriften zumindest in Teilen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar, gelten aber unter Einschränkungen bis längstens Juli nächsten Jahres fort; bis dahin muss der Gesetzgeber nachbessern. Im Übrigen wurden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
Das Urteil enthält entscheidende Aussagen für den polizeilichen Informationsverbund. Es bleibt sichergestellt, dass die Polizei handlungsfähig ist.
Louisa Specht-Riemenschneider, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Ein klarer Fall war für das Gericht die Observationsbefugnis von Kontaktpersonen Verdächtiger. „Heimlichen Überwachungsmaßnahmen kommt ein besonders schweres Eingriffsgewicht zu“, betonte Harbarth. Ein bloßer „Kontakt“ reiche demnach nicht. Es müsse eine „spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zur aufzuklärenden Gefahr hinzutreten“.
Hinsichtlich der BKA-Datenspeicher bemängelte das Gericht eine Vorschrift, wonach bei Inpol die Speicherung „personenbezogener Grunddaten“ auch als, wie Harbarth es nannte, „vorsorgende Speicherung“ erlaubt ist.
„Es dürfen keine Daten ins Blaue gespeichert werden“
Die sei künftig nur noch zulässig, wenn „Betroffene eine strafrechtlich relevante Verbindung zu möglichen Straftaten aufweisen werden und gerade die gespeicherten Daten zu deren Verhütung und Verfolgung angemessen beitragen können“. Eine solche „Speicherschwelle“ fehle bislang. Die Beschwerdeführer hatte gerügt, Personendaten verblieben in der Datei, selbst wenn polizeiliche Ermittlungen längst eingestellt seien.
Unbeanstandet ließ der Senat dagegen die interne Weiterverarbeitung personenbezogener im eigenen BKA-Informationssystem. Die Schutzvorschriften reichten hier aus, sagte Harbarth. Zudem seien die Daten zu löschen, „nachdem der unmittelbare Anlassfall abgeschlossen ist“.
Es kann nicht sein, dass das Verfassungsgericht ständig die Arbeit des Gesetzgebers korrigieren muss. Vollzugskräfte brauchen Rechtssicherheit für ihre tägliche Arbeit.
Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
Selbst Vertreter der Sicherheitsbehörden begrüßen das Urteil. Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sagte dem Tagesspiegel: „Das Urteil war in dieser Form absehbar, besonders hinsichtlich der Observation von Kontaktpersonen.“ Er erwarte von den Gesetzgebern auf Bund- und Länderebene künftig mehr Sorgfalt bei Sichergesetzen. „Es kann nicht sein, dass das Verfassungsgericht ständig die Arbeit des Gesetzgebers korrigieren muss. Unsere Vollzugskräfte brauchen Rechtssicherheit für ihre tägliche Arbeit“, sagte Wendt.
Nachbesserungen am Sicherheitspaket erwartet
Sowohl der Polizeigewerkschaftsvorsitzende als auch Innenpolitiker des Bundestags rechnen damit, dass sich das BKA-Urteil auf die laufende Gesetzgebung beim Sicherheitspaket der Bundesregierung nach dem Anschlag von Solingen auswirken wird. Das Urteil unterstreiche die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Sicherheitsinteressen und den Grundrechten, sagte Manuel Höferlin, der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. „Nach dem BKA-Urteil muss sich der Gesetzgeber noch einmal damit beschäftigten, wie die automatisierte Datenanalyse unter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung technisch und verfassungskonform umgesetzt werden kann.“
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, sagte, die Auswirkungen des Urteils, vor allem auf die im Sicherheitspaket geplanten Datenbanken, gelte es nun zu analysieren.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, forderte, im Sicherheitspaket müssten hinterher mehr Befugnisse stehen und nicht weniger. „Es braucht den gemeinsamen Willen aller Koalitionspartner, unsere Sicherheitsbehörden angesichts der Bedrohungslage mit mehr Befugnissen auszustatten“, so Hartmann. Er rechne zeitnah mit einem geeinten Gesetzentwurf.
In Zeiten steigender Kriminalität wird die Freiheit des Einzelnen auch durch eine effektive Kriminalitätsbekämpfung geschützt.
Alexander Throm, CDU-Innenpolitiker
In der Opposition sieht man jetzt das Bundesinnenministerium in der Pflicht: „Es ist die Aufgabe der Innenministerin, einen Vorschlag vorzulegen, der sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert“, sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Im Ministerium ist man anderer Ansicht. Für das in Teilen nicht verfassungskonforme BKA-Gesetz ist noch die alte Bundesregierung verantwortlich.
Das Urteil habe keine Auswirkungen auf die Gesetzesänderungen aus dem Sicherheitspaket, hört man aus dem BMI. Dennoch bleibt Throm dieser Linie treu und sagte: „Gerade in Zeiten steigender Kriminalität wird die Freiheit des Einzelnen auch durch eine effektive Kriminalitätsbekämpfung geschützt.“
Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Louisa Specht-Riemenschneider, begrüßte die Entscheidung: „Das Urteil enthält entscheidende Aussagen für den polizeilichen Informationsverbund. Es bleibt sichergestellt, dass die Polizei handlungsfähig ist. Aber es dürfen auch keine Daten ins Blaue gespeichert werden, wenn Menschen kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist.“
Specht-Riemenschneider sieht außerdem ein Zeichen für den Gesetzgeber im aktuellen Streit um neue Sicherheitsgesetze: „Der Kreis der Zielpersonen im sogenannten Sicherheitspaket ist zu weit gefasst. Der Gesetzgeber kann jetzt beim Informationsverbund nachjustieren.“
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