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Politik: Neue Terrorangst, altes Material

Wieder mal haben die USA bei ihren Warnungen überzogen – das Weiße Haus ist in der Defensive

Washington - Der demokratische Rebell Howard Dean bezog Prügel auch aus den eigenen Reihen, als er laut spekulierte, der jüngste Terroralarm in den USA könne wahltaktische Motive haben. Jetzt erscheinen seine vom Parteikollegen Joseph Lieberman als „empörend“ bezeichneten Äußerungen in einem zumindest leicht veränderten Licht. Wie zwei hoch angesehene Zeitungen unter Berufung gleich auf mehrere Quellen berichteten, sind die Informationen über ausgespähte Ziele in US-Finanzzentren zu einem großen Teil mindestens drei Jahre alt.

Inzwischen weiß man auch, dass Heimatschutzminister Tom Ridge dieses Mal nicht nur eine Pressekonferenz zur Verbreitung der Warnung abhielt, sondern zusätzlich Nachrichtenchefs bei führenden Medien direkt kontaktierte, um seine Botschaft über die mögliche Terrorgefahr an den Mann zu bringen. Hinzu kommt die Serie von vergangenen Umfrageergebnissen, nach denen die Mehrheit der Bevölkerung bei der Terrorbekämpfung immer noch stärker auf den Republikaner George W. Bush setzt als auf dessen demokratischen Herausforderer John Kerry. Es liegt somit nahe, dass ein in Zeiten einer möglichen Terrorbedrohung entschlossen handelnder Präsident weiter punkten kann.

Bush ergriff die Gelegenheit beim Schopf und verkündete einen Tag nach dem Terroralarm seine Vorschläge für eine Reform der Geheimdienste. In dem Wirbel um die Warnung ging unter, dass er wenige Details nannte und mit seinen Initiativen hinter den Empfehlungen der Untersuchungskommission zum 11. September zurückblieb. Im Wesentlichen bleiben der Geheimdienst CIA und das Pentagon, das nach Bushs Vorstellungen künftig auch weiterhin 80 Prozent des 40 Milliarden Dollar umfassenden Geheimdienstetats kontrollieren wird, in ihrer Machtposition ungeschoren – genau das, was die Kommission befürchtet hatte.

Das alles zusammen genommen ist natürlich Wasser auf die Mühlen von Kritikern, die Bush spätestens seit der vergeblichen Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak so ziemlich alles zutrauen – neben irreführenden Argumenten für den Irak-Krieg sogar das Schüren von Angst, um seine Position als führender Antiterrorkämpfer auszubauen. Spekulationen über eine wahltaktische Ausschlachtung der Terrorbedrohung sind fast jedes Mal aufgekommen, wenn die Alarmstufen in den USA erhöht wurden – und Anschläge stets ausblieben. Fünf Mal ist das in der Vergangenheit passiert.

Die Crux für den Republikaner: Das Lavieren der Regierung in Sachen Irakkrieg hat das Vertrauen in die Aufrichtigkeit des Präsidenten so stark erschüttert, dass sogar schockierende Informationen wie die über das Ausspähen möglicher Terrorziele in US-Finanzzentren den Argwohn nicht eindämmen. Ridge trat am Dienstag erneut vor die Presse – das Weiße Haus sieht sich in der Defensive. Dabei geben auch gemäßigte demokratische Kreise zu, dass auch ein Präsident in ihren Reihen in die Zwickmühle geriete, wenn er abwägen müsste, ob das Bedrohungsszenario das Risiko von Panikstimmung in der Öffentlichkeit oder umgekehrt das Abstumpfen angesichts ausbleibender Attacken sowie Milliarden teure Schutzmaßnahmen rechtfertigt. „Welche Wahl hat die Regierung da wirklich?“ fragte die „New York Times“.

Gabriele Chwallek (dpa)

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