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Politik: Nicht gelöscht und doch verschwunden

Ein neues Gutachten bestreitet, dass am Ende der Ära Kohl Daten im Kanzleramt vernichtet wurden

Von Hans Monath

Es bleibt ein allzu seltsamer Zufall: Als vor bald drei Jahren die Spendenaffäre um Helmut Kohl die Republik erschütterte, da machte sich die neue Regierung im Kanzleramt auf der Suche nach den Unterlagen, die Aufklärung über den Verdacht der Bestechlichkeit und der Vorteilsannahme Kohls und seiner Mitstreiter bringen sollten. Doch seltsamerweise fehlte im Amt der größte Teil der Akten über die strittigen Vorgänge. Vergeblich verlief die Suche nach Unterlagen zur Raffinerie Leuna, zum Export von Fuchs-Panzern oder zum Verkauf der Eisenbahnerwohnungen.

Die neue Führung des Kanzleramts beauftragte einen Mann mit der Suche nach den verschwundenen Unterlagen, der nicht als ihr Anhänger galt. Was Burkhard Hirsch, der seine liberalen Überzeugungen mit manchmal schmerzlicher Konsequenz und Unabhängigkeit vertritt, dann herausfand, musste die Öffentlichkeit beunruhigen. Er kam zu dem Ergebnis, unter der Regierung Kohl sei vorsätzlich belastendes Material beseitigt worden: Drei Gigabyte Daten und körbeweise Akten waren verschwunden, der FDP-Mann sprach von drei „Bundeslöschtagen“ im Herbst 1998.

Hirsch war als „Ermittlungsführer“ eingesetzt, nicht als „Sonderermittler“, ihm fehlten weit reichende Kompetenzen. Sogar der Spendenausschuss des Parlaments, dessen rot-grüne Mehrheit am Ende nur Indizien, keine Beweise für die Bestechungsthese präsentieren konnte, hatte mehr Rechtsmittel zur Verfügung. Doch auch dieses Gremium stieß an die Grenzen seiner Möglichkeiten, wenn wichtige Zeugen mit Hinweis auf laufende Ermittlungen Aussagen verweigerten.

Weil Hirsch die Hände gebunden waren, ist die Nachricht über ein neues Gutachten zu den „Bundeslöschtagen“ so wichtig. Denn zumindest die juristische Klärung der Vorgänge stand bislang noch aus. Die Gutachter haben keine Indizien für die Löschaktion gefunden, den eine Zeitung „eine Orgie der Vernichtung potenzieller Beweismittel“ genannt hat. Nach einer Anzeige des Chefs des Bundeskanzleramts hatte die Staatsanwaltschaft Bonn ein Ermittlungsverfahren gegen führende Mitarbeiter der Behörde aus der Ära Kohl eingeleitet. Aber erst unter öffentlichem Druck bemühten sich die Juristen tatkräftig um Aufklärung. Nach der Wahl, so will die „Welt am Sonntag“ herausgefunden haben, werden die Staatsanwälte das Verfahren einstellen. Auf juristische Hilfe bei der Klärung der Vorgänge nach dem Machtwechsel 1998 ist dann nicht mehr zu hoffen. Nur: Wo sind die Akten und Dateien hin, wenn niemand sie vernichtet hat?

Doch man soll nicht undankbar sein: Die Erinnerung an den Streit um die „Bundeslöschtage“ ist nützlich. Schließlich sind die Wähler nicht ohne Einfluss auf die Bemühungen darum, Licht in ein düsteres Kapitel bundesdeutscher Regierungsgeschichte zu bringen: Ob der Parteispendenausschuss in der kommenden Legislaturperiode noch einmal zusammentritt, welche Aufgabe er sich dann setzt und mit welchem Elan er ans Werk geht, auch das hängt vom Ausgang der Wahl ab.

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