zum Hauptinhalt

Politik: Nichts fährt mehr

Von Harald Martenstein

Vor einigen Wochen saß ich einem führenden Bahnmanager gegenüber. Andere Journalisten waren auch dabei. Einer der Journalisten sagte, Hamburg nach Berlin, warum gibt es da eigentlich keine Spätabendverbindung? Leute mit Abendterminen in Hamburg würden doch gerne um 23 Uhr noch zurück nach Berlin ins Bettchen fahren. Der Bahnmanager lächelte und sagte: „Die Bahn, mein Herr, ist ein gewinnorientiertes Unternehmen. Wenn es sich lohnt, tun wir es. Wenn es sich nicht lohnt, lassen wir es bleiben.“

Wenn es darum geht, Kundenwünsche abzublocken, beruft die Bahn sich immer auf ihre Verpflichtung zum Gewinn. Gleichzeitig lässt sie, als Beinahe-Monopolist, der sie immer noch ist, keinen echten Wettbewerb zu. Die Bahn ist privat und staatlich zugleich, so wie es gerade passt. Im vergangenen Jahr enthüllte zum Beispiel das Fernsehmagazin „Kontraste“, dass die Bahn voll funktionstüchtige Loks und Wagen lieber verschrottet, als sie an potenzielle Konkurrenten zu verkaufen. Dazu gibt es einen, so „Kontraste“, vertraulichen Beschluss des Vorstands. Öffentliches Eigentum wird vorsätzlich vernichtet, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen nannte dies: „An der Grenze zur Illegalität“.

Und nach dem bevorstehenden Börsengang möchte die Bahn mit aller Macht die Kontrolle über das Schienennetz behalten. Wenn das passiert, bleibt die Bahn natürlich auch in Zukunft de facto ein Monopolist, der die Preise diktiert und an den Rändern gnädig hier und da ein bisschen Privatwirtschaft zulässt, Pseudokapitalismus, ein ökonomisches System ungefähr wie im untergegangenen Jugoslawien. Wenn das Schienennetz aber so öffentlich wird wie die Straßen, werden wir sehr bald einen Preissturz erleben, nachts werden zwischen Berlin und Hamburg private Züge verkehren, garantiert, und es wird weniger Auto gefahren.

In der Bahnpolitik sind die Grünen und die FDP nah beieinander. Die einen wollen mehr Umweltschutz, die anderen wollen mehr Wettbewerb, in diesem Fall geht beides wunderbar zusammen. Warum erzähle ich das? Weil im Moment, unter anderem wegen der Gesundheitsreform, überall über die Bewegungslosigkeit, den Lobbyismus und Bürokratismus der großen Koalition geklagt wird. Es gibt aber Alternativen. Die Aussicht, dass es in Deutschland endlich pünktlichere und weniger teure Züge gibt, ist so sonnig wie die Insel Jamaika, sonnig genug, um dafür ein paar alte Feindschaften zu vergessen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false