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Politik: „Noch ein Jahr Rot-Grün wäre eine Katastrophe“ Der hessische Ministerpräsident Roland Koch über die Politik nach einem Wahlsieg der Union, Steuerbetrug – und Sümpfe

Nach der Abstimmung über Gerhard Schröders Vertrauensfrage ist nun der Bundespräsident gefragt. Warum soll Horst Köhler den Bundestag auflösen, wenn viele Juristen ihre Zweifel haben, ob Schröders Weg dem Grundgesetz entspricht?

Nach der Abstimmung über Gerhard Schröders Vertrauensfrage ist nun der Bundespräsident gefragt. Warum soll Horst Köhler den Bundestag auflösen, wenn viele Juristen ihre Zweifel haben, ob Schröders Weg dem Grundgesetz entspricht?

Ich glaube, dass die SPD in den letzten Monaten, Wochen und Tagen gezeigt hat, dass es keine regierungsfähige Mehrheit von SPD und Grünen im Bundestag mehr gibt. Die SPD hat kaum noch einen inneren Zusammenhang und sachlichen Zusammenhalt – sie ist in vielen Sachfragen völlig zerrissen. Ich teile die offensichtlich von Schröder kolportierte Einschätzung, dass ein Teil der SPDLinken bei weiteren Gesetzgebungsmaßnahmen dem Kanzler nicht mehr gefolgt wäre. Er hat für seine Politik im Bundestag keine Mehrheit mehr. Das wird bei der schwierigen Verfassungsprüfung sowohl für den Bundespräsidenten als auch für das Bundesverfassungsgericht sicher ein wichtiges Faktum sein.

Wird die Verfassung Schaden nehmen?

Das glaube ich nicht. Wir haben eine schwierige Verfassungslage, wenn Parteien handlungsunfähig werden. Deshalb wird ja diskutiert, ob man hier andere Wege finden kann. Verfassungsänderungen sollten aber nicht zur Lösung aktueller Krisen dienen. Aber wenn man solch enge Grenzen hat, wie sie die Verfassung setzt, dann sollte man sie auch so interpretieren, dass das politische System handlungsfähig bleibt. Würde Rot-Grün gezwungen, sich noch ein Jahr über Wasser zu halten, dann wäre das eine Katastrophe für Deutschland.

Nehmen wir einmal an, die Union gewinnt die Wahl: Was wird denn dann in welchem Zeitraum umgesetzt?

Wir können natürlich nicht jetzt schon einen haarkleinen Plan für die gesamte Legislaturperiode von vier Jahren machen. Aber klar ist: Wir beginnen mit den Reformen bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften, die Deutschland unbeweglich machen und verhindern, dass mehr Arbeit entstehen kann. Dazu gehören auch die betrieblichen Bündnisse und neue Wege bei der Befristung von neuen Arbeitsverträgen und beim Kündigungsschutz bei Neueinstellungen. Es geht dabei, ich wiederhole es bewusst, um diejenigen, die neu Arbeit suchen, nicht um jene, die eine Stelle haben. Und es geht um die Flexibilisierung in den ersten Jahren, nicht wenn jemand schon 20 Jahre in der Firma ist.

Es sollen ja 140 Einzelgesetze sein, welche Ihre Partei nach einem Wahlsieg gleich im Herbst umsetzen will. Das kann nicht nur Arbeitsrecht sein.

Ich spekuliere nicht über Zahlen. Aber sicher werden wir bürokratische Hemmnisse abbauen. Ein Punkt ist die Beschleunigung beim Planungsrecht, und – das gehört zum arbeitsrechtlichen Teil – wir werden auch die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung einleiten. Das wird in Schritten auf 1,5 Prozentpunkte hinauslaufen: fünf statt 6,5 Prozent.

Sie wollen betriebliche Bündnisse für Arbeit. Gewerkschaften und Arbeitgeber sind dagegen.

Wenn man den Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen. Es ist natürlich richtig, dass bei Arbeitgeberverbänden wie Gewerkschaften die Sorge wächst, bisher geschaffene Strukturen könnten sich verändern. Aus meiner Sicht wird es auch weiterhin gut organisierte Arbeitgeber und starke Gewerkschaften geben müssen. Aber beide Seiten müssen sich neu aufstellen. Die Gewerkschaften zum Beispiel müssen sich darauf einstellen, dass sie nicht mehr diejenigen sind, die das Recht haben, das Verhalten von Betriebsräten zu genehmigen. Sondern sie werden gut genug sein müssen, die Betriebsräte beraten zu können.

Wollen Sie die Bestimmung im Betriebsverfassungsgesetz ändern, wonach Gehälter und Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein dürfen?

Ja. Das wäre ein ziemlicher Paradigmenwechsel für die Tarifabteilungen der Gewerkschaften. Aber das ist nicht das Ende des Flächentarifvertrags. Den soll es ja weiter geben, auch und gerade für den Fall, dass man sich auf Betriebsebene nicht einigt. Das heißt für künftige Flächentarifverhandlungen: Das Ergebnis muss so gut sein, dass möglichst wenige davon abweichen wollen oder müssen. Das ist eine Voraussetzung, um verkrustete Strukturen am Arbeitsmarkt aufzubrechen. Das Rollenverständnis von Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbänden muss sich ändern. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie in einer sich schnell verändernden Welt nicht das Recht haben können, es einer Schicksalsgemeinschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einem konkreten Betrieb zu verwehren, sich am eigenen Schopf aus der Krise zu ziehen oder eine neue Chance in der Welt wahrzunehmen – nur weil irgendwo ein Gewerkschafts- oder Verbandsfunktionär etwas dagegen hat.

Zuerst also das Arbeitsrecht. Und dann die Steuern, später die Sozialreformen?

Ja. Ich glaube, dass diese Reihenfolge zwingend ist. Wir müssen sehr schnell die Perspektiven in der Steuerpolitik aufzeigen, auch wenn ein umfassendes Steuergesetz nicht so schnell zu machen sein wird wie die Arbeitsmarktreform. Hier kann man jetzt noch nicht seriös sagen, ob das 2007 oder 2008 wirksam werden kann. Und dann muss noch in der ersten Hälfte der Legislaturperiode, also bis Ende 2007, die Sozialreform angegangen werden, das heißt vor allem die von der Union beschlossene Gesundheitsreform.

Wie soll denn diese Steuerpolitik aussehen: Mehrwertsteuer nach oben, Steuervergünstigungen streichen, und mit Entlastungen wartet man noch eine Weile?

Es ist richtig, dass in der ersten Stufe der Einkommensteuerreform die Vereinfachung des Systems – also weniger steuerliche Ausnahmen – der Realentlastung vorangeht. Das wird uns sicher anstrengen, denn viele Leute werden dabei auch den Abbau von Vergünstigungen verkraften müssen. Aber das wird durch sinkende Steuersätze kompensiert. Und wir werden dafür sorgen, dass der Durchschnittssteuerzahler nicht der Verlierer ist. Die Steuerfreiheit auf Zuschläge für Nacht- oder Sonntagsarbeit wird zum Beispiel nur stufenweise abgeschafft. Denn wir wollen ja nicht der Krankenschwester das Geld wegnehmen, sondern den Arbeitgebern vorsichtig mitteilen, dass sie, wenn sie zu ungewöhnlichen Zeiten Arbeitskraft in Anspruch nehmen, dafür eben auch ungewöhnliche Löhne zahlen müssen.

Wenn die Steuerreform insgesamt die mittleren Einkommen nicht treffen soll, und die niedrigen auch nicht, dann trifft es also die oberen Einkommen.

Wer relativ viel Abschreibungsmodelle und steuerliche Ausnahmen in Anspruch genommen hat, der wird das nicht mehr in diesem Umfang haben.

Eine Reichensteuer à la CDU?

Ganz klar: Leute, die bei sichtbar hohem Einkommen kaum Steuern gezahlt haben und sich damit sogar noch brüsten, das wird es künftig nicht mehr geben. Wer mehr verdient, soll auch zum Sozialausgleich etwas beitragen. Das ist ja auch ein Teil unserer Gesundheitsreform: Unternehmer und Sekretärin zahlen zwar die gleiche Prämie, weil sie auch die gleiche Grundleistung bekommen. Aber der Unternehmer soll über seine höhere Steuer den Sozialausgleich innerhalb des Gesundheitssystems mitfinanzieren.

Und wie konsolidieren Sie den Haushalt?

In der Krise muss man erst einmal sparen. Und wir müssen eine Entscheidung fällen, wie wir die wirtschaftliche Entwicklung einschätzen. Wenn der Aufschwung kommt, kommt auch wieder mehr Geld in die Kassen. Wir haben auch nach wie vor rund zehn Milliarden Euro Umsatzsteuerbetrug, die man konsequenter angreifen kann. Und dann kommt zum Schluss die Debatte: Was brauchen wir, um eine Reform des Gesundheitswesens zu finanzieren und die Arbeitslosenversicherung von den versicherungsfremden Leistungen zu befreien? Dafür brauchen wir die Mehrwertsteuer.

Wann wird die Mehrwertsteuer erhöht?

Über die Mehrwertsteuerfrage – ob, wann und wie – werden wir am Schluss entscheiden, aber die Haushaltsrechnungen müssen einigermaßen aufgehen. Und da gehört es zur Ehrlichkeit, den Leuten zu sagen, dass es bei der Einkommensteuer absehbar keine Entlastungen geben wird. Und es macht auch keinen Sinn, die Mehrwertsteuer zum Tabu zu erklären. Aber man muss auch wissen: Ein Punkt Mehrwertsteuer bringt zehn Milliarden. Das strukturelle Defizit am Ende von Rot-Grün liegt aber bei 100 Milliarden Euro. Wer glaubt, seinen Haushalt über die Mehrwertsteuer sanieren zu können, der irrt sich.

Hilft ein Defizitverfahren der Europäischen Union beim Sparen, oder ist das eher eine Belastung?

Ich bin für das Defizitverfahren. Ich bin für die Aufrechterhaltung der Maastricht-Kriterien in vollem Umfang. Und wenn wir glauben, die nicht einhalten zu können, müssen wir die Strafe zahlen. Es darf niemand den Eindruck erwecken, dass der Bundeshaushalt für 2006 verfassungskonform werden wird. Wir werden Jahre brauchen, um in Bund und Ländern wieder zu verfassungskonformen Haushalten zu kommen. Auch wenn Rot-Grün uns in diese Krise hineingeführt hat, können wir doch im Herbst nicht mehr nach hinten diskutieren.

Reden wir hier eigentlich mit dem künftigen Bundesfinanzminister Roland Koch?

Nein, mit dem Ministerpräsidenten Koch, der wie alle Kollegen für seinen Landeshaushalt dringend Geld braucht.

Aber die arbeitsmarkt- und steuerpolitischen Baustellen, die Sie uns skizzieren, sind doch eine größere Herausforderung als die Baustellen in Hessen?

Das mag ja sein. Aber meine Einschätzung ist, dass man seine Zusagen einhält. Und ich habe in Hessen Zusagen gemacht, also bleibe ich hier. In Hessen haben sich die Menschen an die Verlässlichkeit meiner Ankündigungen gewöhnt. Wenn ich ja sage, sage ich ja, wenn nein, dann nein. Das scheint nach sieben Jahren rot-grüner Beliebigkeit für Berliner Journalisten ungewöhnlich zu sein.

Bei Rot-Grün haben viele Bürger das Gefühl, die Belastungen seien nicht sozial ausgewogen. Kann eine CDU/FDP-geführte Bundesregierung das Gefühl von Gerechtigkeit vermitteln?

Das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen hängt daran, ob sie eine Perspektive haben, durch ihr eigenes Tun ihre Situation verändern zu können. Wenn wir wieder einen stabilen Arbeitsmarkt haben, der für alle Bereiche einigermaßen Hoffnung bringt, dann ist sowohl im Mittelstand als auch bei ärmeren Schichten wieder eine andere Bereitschaft da, über Reformen und Gerechtigkeit zu diskutieren. Aber die Reichensteuer der SPD ist doch Quatsch – und jeder merkt, dass es ein Wahlkampf-Ablenkungsmanöver vom Versagen auf dem Arbeitsmarkt ist. Wir können die Reichen nicht mit dem Lasso festhalten. Wenn die auswandern, ist Deutschland nicht reicher, sondern ärmer. Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung zahlen jetzt 50 Prozent der Steuern. Unternehmen können dagegen nicht so leicht weggehen. Daher müssen wir bei den Unternehmensteuern signifikante Erleichterungen schaffen.

Bis neue Arbeitsplätze entstehen, dauert es. Aber im Frühjahr 2006 sind für die Union wichtige Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt.

Die Union wird nur dann Schwierigkeiten bekommen, wenn sie unentschlossen ist. Für Entschlossenheit und Klarheit wird sie Kredit bekommen. Die Mehrheit der Menschen weiß: Die müssen eingreifen und handeln und auch Proteste und Durcheinander in Kauf nehmen. Sonst wird das Land nicht wieder gesund.

Das Interview führten Cordula Eubel, Albert Funk und Ursula Weidenfeld. Das Foto machte Uwe Stotz.

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