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Politik: Noch hat er Polen nicht verloren

Der Danziger Walesa fordert vom Danziger Grass die Ehrenbürgerschaft zurück – andere sind gnädiger

Die späte SS-Beichte des Nobelpreisträgers Günter Grass lässt auch seine Lesegemeinde in den Nachbarländern nicht unberührt. Der tschechische Pen-Club erwägt, seinem langjährigen Ehrenmitglied gar den 1994 verliehenen Karel-Capek- Literaturpreis wegen der nun eingestandenen Zugehörigkeit zur Waffen-SS wieder abzuerkennen. „Wir werden das besprechen“, kündigte der nationale Pen- Vorsitzende Jiri Stransky am Sonntag im tschechischen Fernsehen an: „Ich würde das nicht ohne Beachtung lassen.“

Wesentlich zurückhaltender sind bislang hingegen in Polen die Reaktionen auf das überraschende Bekenntnis des populären Danzigers. Die wichtigsten Zeitungen beschränkten sich am Wochenende auf sachlich gehaltene Berichte ihrer Berliner Korrespondenten. „Lieber zu spät als überhaupt nicht“, kommentierte ein Surfer auf der Site der „Gazeta Wyborza“ das späte Eingeständnis. Im polnischen Fernsehen verwiesen Historiker und Publizisten vor allem auf die Verdienste von Günter Grass um die deutschpolnische Aussöhnung.

Sehr viel deutlicher wurde dagegen Polens Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa. Er forderte Grass zur Rückgabe seiner Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig auf. Walesa, der selbst Ehrenbürger Danzigs ist, sagte „Bild“: „Ich weiß nicht, ob man nicht überlegen sollte, ihm diesen Titel abzuerkennen. Wenn bekannt gewesen wäre, dass er in der SS war, hätte er die Auszeichnung nicht bekommen. Das Beste wäre, wenn er von selbst darauf verzichten würde.“ Andere Stimmen waren moderater. Grass habe seine „Jugendsünden“ aufgearbeitet, zeigt der Danziger Oberbürgermeister Pawel Adamowicz für den populärsten Sohn der Stadt durchaus Verständnis. Vor voreiligen Beschlüssen will der Stadtrat denn auch erst einmal abwarten. „Die Angelegenheit ist zu frisch, um sie zu kommentieren“, sagte der Stadtratsvorsitzende Bogadan Olesezek zu einer möglichen Aberkennung der Ehrenbürgerschaft von Grass. „Womöglich“ werde sich der Stadtrat aber in den „kommenden Wochen“ mit dem Thema befassen: Formal bestehe die Möglichkeit, dem langjährigen Ehrenbürger seinen Titel wieder abzuerkennen.

Doch dazu wird es wohl kaum kommen. Denn nicht nur in seiner Geburtsstadt genießt der Schriftsteller in Polen große Sympathien. Die deutsche Schuld am Krieg habe Grass nie relativiert, betonte am Wochenende die Reporterin des staatlichen Fernsehens TVP. Man sollte doch vor allem darauf schauen, wie Grass seine Kriegserfahrungen als Jugendlicher in seinen Büchern verarbeitet habe, mahnt die Literaturkritikerin Maria Malatynska. Seine einstige SS-Mitgliedschaft sollte keinen Einfluss auf die Bewertung von Günter Grass haben, forderte dessen Danziger Schriftstellerkollege Stefan Chwin: „Er hat sich enorm um die deutsch-polnische Aussöhnung verdient gemacht.“ Grass habe nicht nur für die Anerkennung der OderNeiße-Grenze wichtige Schrittmacherdienste geleistet, sondern auch in seinen „Polemiken“ mit dem Bund der Deutschen Vertriebenen (BDV) stets um Verständnis für polnische Positionen geworben, sagt der Publizist Adam Krzemenski. Doch nicht erst seit dem Nobelpreis genießt der Schriftsteller in Polen große Popularität. Regelmäßig ist er an der Weichsel zu Gast, zuletzt las er seinen Gastgebern auf der Warschauer Buchmesse im Frühjahr wegen des rechtsnationalen Kurses des Landes kräftig die Leviten. Doch es ist weniger sein politisches Engagement als vielmehr sein literarisches Werk, das die Nachbarn schätzen.

Auf tausenden von Seiten hat Grass seiner Geburtsstadt mit seinen unerschöpflichen Jugenderinnerungen in der Danziger Trilogie, dem „Butt“ und den „Unkenrufen“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Umgekehrt schlägt seit einigen Jahren zu Ehren seines Schöpfers in Danzig ein blecherner Oskar die Denkmals-Trommel. Ein bereits erstelltes Denkmal für Grass ist auf dessen Wunsch hin allerdings in einem Magazin entschwunden. Doch irgendwann wird der schmauchende Dichterfürst sicher neben dem trommelnden Oskar auf der Denkmalsbank sitzen.

Thomas Roser[Warschau]

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